Geschlechtsbestimmung im Ei: „Der von manchen Gruppen propagierte zehnte Tag ist absolut willkürlich gewählt.“

09 Dezember 2022
Brüterei
Vorbrüter

„Bis 2024 wird kein Verfahren praxisreif sein, das eine Geschlechtsbestimmung im Hühnerei vor dem siebten Bebrütungstag erlaubt“, sagt Anke Förster von der Agri Advanced Technologies GmbH (AAT). Und auch der von manchen Gruppen propagierte zehnte Tag sei rein willkürlich gewählt und fachlich nicht fundiert. Auf der EuroTier 2022 gab die Reproduktionsspezialistin einen Überblick über die aktuelle Gesetzeslage und über den Stand der Dinge bei der Entwicklung der Technologien zur Geschlechtsbestimmung im Brutei.

„Für 2024 ist eine Gesetzesverschärfung des Tierschutzgesetzes geplant, wonach es ab dem siebten Bebrütungstag verboten sein soll, bei oder nach der Anwendung eines Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei einen Eingriff an einem Hühnerei vorzunehmen, der den Tod des Hühnerembryos verursacht, oder einen Abbruch des Brutvorgangs vorzunehmen, der den Tod des Hühnerembryos verursacht“, beschrieb Anke Förster die aktuelle Rechtslage zum Ausstieg aus dem Kükentöten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium soll dem zuständigen Fachausschuss des Deutschen Bundestages bis zum 31. März 2023 über den Stand der Entwicklung von Verfahren und Methoden zur Geschlechtsbestimmung im Hühnerei vor dem siebten Bebrütungstag berichten.

Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bebrütungstag noch nicht möglich

„Doch bis 2024 wird kein Verfahren praxisreif sein, das eine Geschlechtsbestimmung im Hühnerei vor dem siebten Bebrütungstag erlaubt“, so Förster. „Das endokrinologische Verfahren SELEGGT, das Allantoisflüssigkeit auf Hormone analysiert, kann nicht vor dem neunten Bebrütungstag angewendet werden, weil die Unterschiede in der Konzentration des Östronsulfats erst dann ausgeprägt genug sind.“ Das genanalytische Verfahren PLANTegg wiederum sei von der Analyse her früher durchführbar, jedoch stelle die Probenentnahme ein Problem dar, weil vor dem neunten Bebrütungstag zu wenig Allantoisflüssigkeit vorhanden sei; am sechsten Bebrütungstag seien es unter 2 Milliliter, erst am neunten Tag etwa 5 Milliliter. Die Entnahme vor dem neunten Tag würde einen enormen Ausschuss an Eiern verursachen.

Studien zur frühen Spektroskopie laufen

Im Fokus der Forschung steht nach den Aussagen von Anke Förster die so genannte frühe Spektroskopie. In einer Vorstudie am Friedrich-Löffler-Institut (FLI) Celle sei diese Technologie, die vor dem siebten Bebrütungstag angewendet werden kann, im Frühsommer 2022 untersucht worden. Bei der frühen Spektroskopie wird die Eierschale perforiert, um automatisiert Blutgefäße aufzufinden; die Membran bleibt aber intakt – es wird keine Flüssigkeit entnommen. Es wurden Versuche mit 1.800 Eiern durchgeführt, automatisiert gemessen und Einzelschlupf mit Vorhersage des Geschlechts umgesetzt. Es gab keinen negativen Einfluss auf das Schlupfergebnis und eine Genauigkeit von 96 Prozent. Diese sehr vielversprechenden Ergebnisse führten zu einem Projekt (Projektstart August 2022), an dem die TU Dresden, das Unternehmen AAT sowie das Land Niedersachsen beteiligt sind, und das die Praxistauglichkeit des Verfahrens im Hochdurchsatz untersucht. Vor dem 1. Januar 2024 wird diese Technologie jedoch nicht praxisreif sein.

Embryonales Schmerzempfinden

Anke Förster zählte des Weiteren zahlreiche Studien zum embryonalen Schmerzempfinden auf, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, was das embryonale Schmerzempfinden zwischen dem 7. und dem 15. Tag anbelangt – keine Studie schaffe Gewissheit, wann das Schmerzempfinden einsetzt. Auch die Münchner Schmerzstudie, deren Ergebnisse im Januar oder Februar des nächsten Jahres erwartet würden, dürfte keine neuen Erkenntnisse bringen, so Förster. Der von manchen Gruppen propagierte zehnte Tag sei absolut willkürlich gewählt.

Sichere Betäubung mit Strom

Um mit der Ungewissheit zum Einsetzen des embryonalen Schmerzempfindens umgehen und die aktuell verfügbaren Möglichkeiten der Geschlechtsbestimmung weiter nutzen zu können, bietet sich nach Anke Förster eine Betäubung an. Die Firma AAT betreibe gemeinsam mit der Universität Göttingen Grundlagenforschung zu diesem Thema. Die daraus resultierende Technologie STUNNY ermögliche eine vollautomatische, elektrische Betäubung mit einem Durchsatz von 10.000 Eiern pro Stunde. Der erreichte Stromfluss wurde je Einzelei gemessen unde dokumentiert. Ein Gutachten durch ein unabhängiges Institut für Tierschutz (bsi Schwarzenbek) bestätige den sicheren Betäubungsprozess.

Betäubung als Brückentechnologie

Anke Förster fasst zusammen, dass die aktuell verfügbaren technischen Verfahren nicht die Erwartungen erfüllen. Sie hält es trotz intensiver Bemühungen für unwahrscheinlich, dass Verfahren, die eine Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bebrütungstag erlauben, bis 2024 umsetzbar sein werden. „Eine Verlängerung für bestehende In-Ovo-Techniken über 2024 hinaus ist unumgänglich, bis Techniken zur früheren Geschlechts-Bestimmung entwickelt sein werden“, so die Reproduktionsexpertin. Anke Förster empfiehlt eine verpflichtende Betäubung für alle Verfahren und sieht dies als Brückentechnologie an. Eine uneinheitliche europäische Gesetzgebung führe aktuell zu Wettbewerbsverzerrungen.

Magdalena Esterer
Bild: Cordula Möbius

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