Der Geflügeltierarzt Sjaak de Wit vom niederländischen Geflügelgesundheitsdienst plädiert für eine risikobasierte Impfung gegen die Vogelgrippe: "Bio- und Freilandlegehennen laufen das ganze Jahr über draußen und dann hat man über einen langen Zeitraum ein erhöhtes Infektionsrisiko. In diesem Fall wäre eine Impfung sinnvoll, denn niemand kann den Virendruck bei Wildvögeln zwei Jahre im Voraus vorhersagen."
"Die vom Wageningen Bioveterinary Research (WBVR) getesteten Vogelgrippe-Impfstoffe haben eine breite Aktivität gegen mehrere H5-Varianten des Virus. Das ist positiv", sagt der Geflügeltierarzt Sjaak de Wit vom niederländischen Tiergesundheitsdienst während eines Vortrags Ende Juni auf der Mitgliederversammlung der Branchenvereinigung Anevei (Algemene Nederlandse Vereniging van Eierhandelaren en Eiproductfabrikanten).
Das Wageningen Bioveterinary Research habe zwei sogenannte HVT-H5-Impfstoffe unter Laborbedingungen getestet, eröffnete De Wit seinen Vortrag. "Einer von ihnen enthält ein H5, das bereits 17 Jahre alt ist und schützt das Geflügel immer noch gut gegen die aktuellen H5-Varianten des Virus". De Wit ist begeistert von diesem Ergebnis, denn " Pharmazeuten ziehen es vor, einen Impfstoff gegen die hochpathogene H5-Variante des Virus zu entwickeln, der dann über Jahre hinweg wirken kann. Das Vogelgrippevirus kann jedoch mutieren. Der Vogelgrippestamm in Asien kann sich leicht von dem in Europa unterscheiden und es kann sein, dass in den Vereinigten Staaten ein anderer Stamm Probleme verursacht. Wenn ein Impfstoff nur gegen einen Stamm schützt, muss ein Pharmazeut mehrere Impfstoffe entwickeln, die oft auch noch verändert werden müssen. Das ist sehr kostspielig - die Entwicklung eines Impfstoffs gegen eine Variante der Vogelgrippe kostet leicht eine Million Euro. Deshalb ist es von Vorteil, dass die beiden getesteten Impfstoffe so gut gegen die aktuelle Variante schützen, obwohl sie sich von der H5-Variante im Impfstoff deutlich unterscheidet."
Große Veränderung
De Wit spricht von einer großen Veränderung. "Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts war die hochpathogene Vogelgrippe ein lokales Problem, das durch die Keulung der infizierten Tiere gelöst werden konnte. Dadurch wurde das Virus schließlich auch ausgerottet, wie 2003 in den Niederlanden. Heute sind etwa 350 Wildvogelarten in der ganzen Welt Träger der hochpathogenen Vogelgrippe. Die bloße Keulung von infiziertem Geflügel ist nicht ausreichend.
"Außerdem passt sich das aktuelle H5-Vogelgrippevirus leicht an. Immer mehr Arten von Wildvögeln und Säugetieren werden infiziert. Außerdem werden immer wieder Jungvögel geboren, die nicht geschützt sind. Da Zugvögel das Virus weiterhin verbreiten, bleibt das Vogelgrippevirus H5 präsent und verursacht weiterhin wechselnde Probleme. In den letzten Monaten gab es nur wenige Ausbrüche in den Niederlanden, aber es wird sicher wieder Phasen mit mehr Ausbrüchen geben."
Vogelgrippe global
Viele Geflügel exportierende Länder sind sich laut De Wit einig, dass der alte Ansatz der Keulung und Nichtimpfung keine Lösung mehr ist und dass die Impfung durchaus dazu beitragen kann, die Zahl der Ausbrüche stark zu reduzieren. "Länder, in denen es nur wenige Ausbrüche gibt, haben immer noch zu kämpfen. Brasilien zum Beispiel ist noch nicht für die Impfung", weiß De Wit. "Letzte Woche wurde das Virus dort zum ersten Mal offiziell in einer Geflügelfarm nachgewiesen. Wenn das Virus dort in der nächsten Zeit wütet, könnte die brasilianische Regierung ihre Meinung ändern", erwartet der Geflügeltierarzt. Auch in Thailand sei man noch nicht für die Impfung. "Es gibt regelmäßig Ausbrüche der Vogelgrippe, aber Thailand meldet nur sehr wenige an die Weltorganisation für Tiergesundheit (WOAH)".
De Wit hat Verständnis dafür, dass Länder mit wenigen Ausbrüchen nicht für eine Impfung sind. "Sie hoffen, dass es so bleibt und sie Marktanteile von Ländern gewinnen können, die impfen. Auf diese Weise halten wir uns gegenseitig im globalen Griff. Jeder weiß, dass eine erfolgreiche Impfung das Risiko von Krankheitsausbrüchen erheblich verringert, aber kaum ein Land beginnt damit, aus Angst, Marktanteile zu verlieren. Diese Haltung muss sich bald ändern", meint De Wit.
Angst vor Absatzschwierigkeiten
Der Geflügeltierarzt zieht seinen Hut vor Frankreich. "Das Land hat Versuche mit Enten abgeschlossen und wird als erstes europäisches Land im September mit der Impfung von Enten beginnen. Wenn die französischen Geflügelexporte nur wenig betroffen sind, werden andere Länder dem Beispiel Frankreichs bald folgen. Wenn aber viele Länder französische Geflügelprodukte ablehnen, werden andere Länder bei der Impfung zurückhaltender sein.
Der niederländische Geflügelsektor ist stark vom Export abhängig. De Wit hat daher volles Verständnis dafür, dass die Befürworter der Vogelgrippeimpfung in der niederländischen Industrie noch immer zurückhaltend sind. "Die Niederlande wollen ihre Exportposition halten. Wenn viele Länder aufgrund der Impfung ihre Grenzen für unsere Geflügelprodukte schließen würden, würde der Sektor bankrott gehen."
De Wit merkt an, dass sich die Kritiker in den Niederlanden oft auf das Wissen und die Erfahrungen mit den klassischen Impfstoffen im Ausland berufen, die aber oft nicht richtig angewendet wurden. "Die neue Generation von Impfstoffen bietet wichtige Vorteile und schützt gegen mehrere Varianten des Virus", bekräftigt er.
De Wit ärgert sich über die weltweite Zurückhaltung gegenüber der Vogelgrippeimpfung. "Vorschriften und Einstellungen sollten von der neuen Realität ausgehen. Alle Länder sollten die Einfuhr von gut kontrollierten Produkten von geimpftem Geflügel zulassen".
Er vergleicht es mit Corona (Covid-19). "Die größten Probleme mit Covid-19 liegen hinter uns, weil überall auf der Welt geimpft wurde. Wäre die Vogelgrippe eine neue Krankheit gewesen, wie es Covid-19 vor einigen Jahren war, würde die Impfung jetzt leichter akzeptiert werden. Dann würde es sogar zu einem Wettbewerb kommen, welches Land als erstes impfen würde."
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