Aldi Süd verkauft nur noch Puten-Frischfleisch aus Haltungsform 3, sprich aus Ställen mit Wintergarten. In anderen Lebensmittelketten ist es auch im Angebot. Wird Haltungsform 3 nun der neue Standard? Darüber diskutierte das erste Agravis-Puten-Symposium.
„Gefühlt“ wollen alle Verbraucherinnen und Verbraucher hierzulande mehr Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit. Demzufolge sind diese Themen beim Lebensmittelhandel sehr präsent. Aber auch die Politik will mehr Tierwohl erreichen, etwa über die staatliche Tierhaltungskennzeichnung.
Was heißt das für die tierhaltenden Landwirte? Einfach Stall umbauen und alles ist gut? So einfach, wie sich das mancher Verbraucher oder anscheinend auch mancher Politiker vorstellt, ist es leider nicht. Welche Chancen die Haltungsform Stufe 3 (HF 3) für hiesige Putenmäster und Putenmästerinnen bietet, war Thema des ersten Agravis-Puten-Symposiums im niedersächsischen Holdorf (Landkreis Vechta). Dabei kamen auch die Risiken zur Sprache.
Deutlich niedrigere Besatzdichten
Definiert ist HF 3 bei Puten mit Besatzdichten von maximal 41 kg bei Hähnen und 37 kg bei Hennen. Zudem muss es ständigen Zugang zu einem Außenklimabereich geben. Das kann ein seitlich angebauter Wintergarten oder ein – innenliegendes – Stallabteil am Ende des Stalles mit entsprechenden Öffnungen sein. Bei Letzterem muss die Tierzahl reduziert werden, da die abgetrennte Fläche nicht mitgerechnet werden darf bei der Besatzdichte.
Ein aktueller Vorreiter in Sachen Tierwohl auf Seite des Lebensmittelhandels ist Aldi Süd. Bis 2030 soll das gesamte Frischfleisch-, Wurst- und Trinkmilchsortiment nur noch aus Haltungsform Stufe 3 oder 4 kommen. Bei Puten-Frischfleisch ist dieses Ziel schon heute erreicht. Das berichtete Stephan Schoch, Agraringenieur und Nachhaltigkeitsmanager bei Aldi Süd, auf der Agravis-Veranstaltung.
Für Aldi Süd ist der Wechsel auf die Haltungsstufen 3 und 4 eine Investition in die Zukunft. Bei jüngeren Käufern, die noch Fleisch kaufen, spiele es eine große Rolle, wie die Tiere gehalten wurden, so Schoch. Aldi Süd setzt beim Fleisch zudem auf die Herkunft Deutschland. Das Puten-Frischfleisch kommt zu 100 Prozent aus Deutschland.
Auch Wurstwaren aus Haltungsform 3
Deutlich sagte der Aldi-Mitarbeiter, dass es Tierwohlware nicht zum Preis von konventioneller Ware geben könne und das Geld beim Landwirt ankommen müsse: „Uns ist bewusst, dass die Landwirte in Vorleistung gehen.“ Angedacht ist bei Aldi Süd, auch Wurstwaren komplett auf HF 3 umzustellen, was natürlich zu einer besseren Verwertung des HF-3-Fleisches führen würde.
In der Diskussion mit Schoch wurde begrüßt, dass Aldi Süd auf die Putenhalter zugeht und die höhere Haltungsstufe umsetzt: „Das ist besser, als wenn die Politik uns allen eine geringere Besatzdichte vorschreibt ohne Gegenleistung.“ Jedoch wurde auch eindringlich Verlässlichkeit von Abnehmerseite angemahnt. Ein angebauter Wintergarten ist nicht in einem Jahr abbezahlt. Das unternehmerische Risiko trägt in der Regel nach wie vor der Landwirt.
Christoph Lang ist seit 2021 Leiter Unternehmensentwicklung der Heidemark GmbH. Er machte auf der Agravis-Veranstaltung deutlich, in welcher Zwickmühle sich die hiesigen Verarbeiter befinden: Verbraucher wollen mehr Tierwohl, aber nicht mehr zahlen, der Handel wolle auch seine Margen. Die Politik fordere mehr Tierwohl, lasse aber Fleischimporte aus Ländern mit deutlich niedrigeren Haltungsstandards zu.
Für ihn steht es außer Frage, dass nur der Handel den Umbau der Tierhaltung hin zu höheren Haltungsstufen vorantreiben kann. Der Aldi-Ansatz, auch bei Wurstwaren auf HF 3 zu setzen, ist für Lang unabdingbar, um eine entsprechende Wertschöpfung zu generieren.
Anteil Haltungsform 3 bei 15 Prozent
Bei Heidemark liegt der Anteil an HF 3 (mengenmäßig) aktuell bei etwa 15 Prozent. Die Erfahrungen der Mäster damit seien bisher positiv. Heidemark könne die Haltungsumstellung jedoch nicht forcieren: „Die Verbraucher müssen es kaufen“, sagte Lang. Die Strategie von Aldi Süd, ausschließlich HF 3 oder 4 anzubieten, begrüßte er. Das müsse aber dann auch für Hähnchenfleisch gelten. „Sonst tauscht der Käufer doch Putenfleisch HF 3 gegen das günstigere Hähnchenfleisch HF 2 aus“, so die sicher nicht unbegründete Sorge einer Seminarteilnehmerin.
Langs Empfehlung an interessierte Mäster: Den Stall mit einem innenliegenden Wintergarten umrüsten. Das ist deutlich preisgünstiger als ein angebauter Wintergarten, genehmigungstechnisch deutlich einfacher. „Notfalls“ könne so eine Lösung auch wieder rückgebaut werden.
Höhere Wertschöpfung bei Haltungsform 3
Geflügelfachtierarzt Dr. Heinrich Windhaus, dessen Praxis ihren Sitz in Vechta hat, berichtete über bisherige Erfahrungen mit HF 3 bezüglich der Tiergesundheit. Seiner Einschätzung nach kann mit HF 3 derzeit eine höhere Wertschöpfung generiert werden. HF 3 biete die Chance einer besseren Tiergesundheit. Das Risiko einer Geflügelpest-Infektion sei seines Erachtens jedoch etwas größer. Beschädigungspicken trat bei den Außenklima-Ställen nicht stärker auf.
Zum ersten Agravis-Puten-Symposium konnte Valentin Schulze Spüntrup, Geschäftsführer der Agravis-Tochter „GiG Geflügel GmbH“, über 100 Teilnehmende begrüßen. Er selbst gab einen Überblick über die aktuelle Marktsituation bei den wichtigsten Rohwaren im Geflügelfutter, Weizen, Mais und Soja.
Sein Kollege Johannes Große Volksbeck zeigte Reserven in der Fütterung auf, sowohl die Effizienz der Putenmast weiter zu verbessern als auch den CO2-Fußabdruck zu verringern. Letzteres wird künftig im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit auf alle putenhaltenden Betriebe zukommen.
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