Bald für alle: Oben Solarstrom, unten Legehennen

21 September 2023
Energie
Agri PV

Bisher konnten nur Öko-Geflügelausläufe mit Agri-Photovoltaik bestückt werden. Nach Änderung der EU-Vermarktungsnormen für Eier ist das voraussichtlich ab Dezember für jeden Betrieb möglich. Das Interesse bei Geflügelhaltern ist groß.

Die Sonne hat noch sehr viel Kraft an diesem Septembertag. Mensch und Tier freuen sich über ein schattiges Plätzchen. Das gilt auch für die kleine Legehennenherde, die im Gewerbegebiet Rathenow (Brandenburg) unter einer aufgeständerten Agri Photovoltaikanlage (Agri PV) pickt und scharrt: „Das ist der erste Vorteil von Agri PV für Hennen. Sie finden immer Schatten im Auslauf, unter den Modulen ist die Temperatur um einige Grade niedriger als in der Sonne“, erzählt Michael Bleiker. Er ist Betriebsleiter der Demonstrations- und Forschungsanlage, zu der der Geflügelauslauf gehört.

Doppelnutzung: Gewinnen von Solarstrom und Landwirtschaft

Die Demonstrations- und Forschungsanlage wurde vor drei Jahren von der Sunfarming GmbH errichtet. Sunfarming gilt als Pionier der Agri-Photovoltaik und befasst sich seit rund 20 Jahren mit diesem Thema. Im Gewerbegebiet Rathenow werden verschiedene Formen der Doppelnutzung von Solarstromgewinnung und Landwirtschaft getestet, die in unseren Breitengraden Sinn machen. Dazu gehört nicht nur die Tierhaltung mit Legehennen, Mutterkühen oder Schafen, sondern auch der Anbau von Obst- und Beerensträuchern, Gemüse oder Wein unter den Solardächern.  

Der unschlagbare Vorteil der Doppelnutzung: Es geht durch die Photovoltaikanlage keine Fläche für die Nahrungsmittelproduktion verloren, die vieldiskutierte Konkurrenz Nahrungsmittel gegen Stromerzeugung gibt es hier nicht. „Diese Kombination macht Sinn“, so Michael Bleiker.

Das Interesse von potenziellen Anwendern der Doppelnutzung ist groß. Die Demonstrationsanlage in Rathenow ist inzwischen dreimal wöchentlich geöffnet für Besucher - und die kommen reichlich. Nach Aussage von Bleiker sind dabei auch Geflügelhalterinnen und Geflügelhalter, die die Vorteile einer aufgeständerten Anlage in ihren Ausläufen sehen. „Das ist nicht nur Doppelnutzung, sondern auch Doppelnutzen“, sagt er.

Leghennen profitieren von Modultischen

Die Tiere im Auslauf profitieren nämlich vom wortwörtlichen „Schutzschirm“. Beutegreifer haben dort wenig Chancen. Im Sommer gibt es, wie erwähnt, immer Schattenbereiche im Auslauf, die Temperatur ist dort niedriger. Im Winter ist es unter den Modulen immer ein bis zwei Grad wärmer als in den nicht überdachten Bereichen. Außerdem werden die Tiere vor Starkregen oder Hagel geschützt, starker Wind wird durch die Module gebrochen.
Die bifazialen Module von Sunfarming sind sehr robust, Hagel kann ihnen nichts anhaben und sie sind unempfindlich gegen Ammoniak. Die Montageschienen der Module sind quasi Regenrinnen, die das ablaufende Wasser auffangen, aber durch Schlitze wieder abgeben nach unten. So gelangt Feuchtigkeit auf den Bewuchs unter den Modulen.

Erhöhte Einspeisevergütung soll kommen

Um eine erhöhte Einspeisevergütung als Agri-PV zu erhalten, müssen die Module voraussichtlich mindestens 2,10 m hoch aufgeständert sein. Diese Regelung will die Bundesregierung in Kürze umsetzen. Niedriger aufgeständerte Anlagen sollen dann nur die reguläre Einspeisevergütung erhalten.

Für Michael Bleiker macht die Höhe von 2,10 m auch fachlich Sinn: „Man kann durchgehen, ohne sich anzustoßen, das ist aus Sicht des Arbeitsschutzes gut. Außerdem kann man mit dem Hoftrac durchfahren für die Pflege der Flächen.“ Bei einer Mindesthöhe von 2,10 m sei außerdem die Gefahr gering, dass die Hühner hochfliegen und die Module verschmutzen.

Die gelöcherten Montageschienen zwischen den Modulen leiten Regenwasser auf den Boden.

Unbeschattete Bereiche müssen bleiben

Die Empfehlung von Michael Bleiker ist, dass etwa 60 bis 70 Prozent der Auslauffläche von PV-Modulen bedeckt sind: „Es sollte im Auslauf auch Bereiche geben, wo die Sonne hinkommt, die Tiere können dann frei wählen, wo sie sich aufhalten wollen“, so Bleiker. Die Streifen ohne Beschattung zwischen den Modultischen sollten mindestens 1 Meter breit sein.

In Arbeit sind derzeit DIN-Normen für Agri Photovoltaikanlagen (DIN-SPEC 91492), bei denen auch Anforderungen formuliert werden, wie die Bedürfnisse der dort gehaltenen Nutztiere zu erfüllen sind. Als Vertreter der Geflügelbranche ist in der entsprechenden bundesweiten Arbeitsgruppe Dieter Oltmann, Geschäftsführer des Landesverbandes Niedersächsische Geflügelwirtschaft, vertreten.

Wartezeiten für Bau von Trafostationen

Können Geflügelhalter dann bald mit dem Bau von Agri Photovoltaikanlagen loslegen?  „Ganz so schnell geht es leider nicht“, sagt Michael Bleiker. Für eine Agri Photovoltaikanlagen braucht es eine Baugenehmigung. Ein erster Schritt zur Vereinfachung wurde bereits getan: Seit kurzem gilt der Bau einer Agri Photovoltaikanlagen auf bis zu 2,5 Hektar als baurechtlich privilegiert, wenn sie betriebsnah zu einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb errichtet wird. „Das ist keine große Fläche, aber zumindest ein Anfang,“ so das Urteil von Bleiker.

Interesse bei kommunalen Stromversorgern

Wie er berichtet, kommen derzeit auch viele Vertreter kommunaler Behörden zur Demonstrationsanlage in Rathenow, um sich zu informieren: „Für viele Baubehörden ist das Thema Agri PV Neuland“, so Bleiker. Aber kommunale Versorger interessierten sich auch für die Möglichkeiten, den erzeugten Strom von Agri Photovoltaikanlagen zu nutzen.

Selbst wenn Photovoltaikanlagen zum Bau genehmigt sind, kann es noch zu Verzögerungen kommen. Aufgrund der hohen Nachfrage haben Trafostationen derzeit eine Wartefrist von bis zu zwei Jahren, ehe sie lieferbar sind.
Aber Michael Bleiker ist optimistisch: „Obwohl es einige Hürden zu nehmen gilt, nimmt der Agri-PV-Zug immer mehr Fahrt auf. Wer Interesse hat, sollte sich frühzeitig damit befassen.“

 

Christa Diekmann-Lenartz
Bild: Christa Diekmann-Lenartz

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