„Das Eckpunktepapier in dieser Form bedeutet das Ende der Putenhaltung in Deutschland!“

15 Februar 2023
Pute
Bettina Gräfin von Spee

An Herausforderungen mangelt es deutschen Putenerzeugern wahrlich nicht. Sie müssen Kostenexplosionen im Futter- und Energiebereich verkraften und sie haben stark mit den Folgen der Vogelgrippe-Ausbrüche zu kämpfen. Zum Jahreswechsel schließlich flatterte ihnen das neue Eckpunktepapier von Cem Özdemir vor die Füße – der nächste Dämpfer für die Branche. „agrarheute“ und „geflügelnews“ sprachen mit der Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Putenerzeuger, Bettina Gräfin von Spee, über das Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministers und über die für eine Zukunft der Putenhaltung nötigen Rahmenbedingungen in Deutschland.

 

Frau von Spee, mit welchen Herausforderungen haben die deutschen Putenerzeuger derzeit besonders zu kämpfen? 

Wir schieben uns schon seit Jahren von einer Herausforderung in die nächste. Das fing mit Corona an: Die Nachfrage war schwach, besonders im Außer-Haus-Bereich. Dies belastete den Putenmarkt sehr stark; es gab Schlachthofschließungen in Folge von Corona. Am Ende war zu viel Fleisch da. Das führte zu einem erhöhten Preisdruck am Markt. Im letzten Jahr folgte der Angriffskrieg auf die Ukraine, der mit Kostenexplosionen im Futter- und Energiebereich sowie in der Logistik einherging und sich auf alle Bereiche der Putenwirtschaft auswirkte. Das hat sich jetzt wieder etwas beruhigt. Durch die erhöhten Preise an der Ladentheke konnten wir auch die Preise für Lebendtiere anpassen.  

Was uns zusätzlich und inzwischen permanent beschäftigt ist die Aviäre Influenza, denn Sie ist endemisch geworden. Die Krankheit führt zu Leid bei den betroffenen Tieren. Wir Putenerzeuger sind mit Einstallverboten, Einstallverschiebungen und leeren Ställen belastet. Für die Schlachtereien bedeutet es leere oder zumindest unausgeglichene Schlachttage.

1 Mio. Tiere weniger eingestallt

Können Sie beziffern, wieviel Prozent der Ställe im vergangenen Jahr leer standen und wieviel Tiere gekeult werden mussten?

Nach unseren Informationen kam es in Deutschland im Kalenderjahr 2022 zu 27 Ausbrüchen. In diesem Zeitraum mussten über 450.000 Tiere in Deutschland gekeult werden. Im Jahr 2022 wurden 4% weniger Tiere eingestallt. Das sind in tatsächlichen Zahlen ca. 1 Mio. Tiere. Bei diesen Zahlen kann sich jeder vorstellen, dass dies die ganze Produktionskette durcheinanderbringt.

So ist es, deshalb warten wir ja auch alle auf einen Impfstoff. Er würde natürlich nicht die Aviäre Influenza ausrotten, uns aber ein ganzes Stück weiterbringen. Aber zunächst brauchen wir einen Impfstoff, der schützt und dieser muss in der EU zugelassen sein. Doch es wird wohl noch zwei bis drei Jahre dauern, bis uns ein geeigneter Impfstoff zur Verfügung steht. Für uns ist das eine sehr lange Zeit. Womit wir jedoch brandaktuell zu kämpfen haben, ist das Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir, welches uns Mitte Dezember 2022 erreichte. 

Was wären die Folgen für deutsche Putenbetriebe, wenn die Anforderungen aus dem Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministeriums in die Tat umgesetzt würden?

Mit diesem Eckpunktepapier, das hoffentlich nur als eine Diskussionsgrundlage zu verstehen ist, hat Herr Özdemir im wahrsten Sinn des Wortes den Vogel - in diesem Fall die Pute - abgeschossen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium bringt Haltungsstandards ins Spiel, die jeder fachlichen und praxisbezogenen Grundlage entbehren. Die deutschen Betriebe würden durch die massive Auflagenflut und den nationalen Alleingang, den Deutschland damit antritt, nicht mehr wettbewerbsfähig sein. In der vorliegenden Form bedeutet das Papier das Ende der Putenhaltung in Deutschland. In der Folge wird die Erzeugung in andere EU-Länder oder auch in Drittstaaten abwandern und das Fleisch anschließend importiert, denn Fleisch wird weiterhin gegessen – gerade im Geflügelbereich. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Importe aus anderen Ländern meistens mit niedrigeren Haltungsstandards verbunden sind. Der Verbraucher erfährt dabei nicht, wie das Fleisch erzeugt wurde, wenn es aus dem Ausland kommt. 

Kann man der Politik hier Absicht unterstellen? Soll die Tierhaltung in Deutschland zielgerichtet ausgeblutet werden? Das wäre – provokant ausgedrückt - bösartig.

So etwas glaube ich nicht. Aber es gibt Leute in der Koalition, die die Tierhaltung in Deutschland halbieren wollen. Doch man kann Tierhaltung nicht einfach halbieren, indem man in einem Stall einfach nur die Hälfte einstallt. 

An die Folgen wird nicht gedacht? 

Genau. Wenn man bedenkt, dass ein Stall nicht nur das Stallgebäude mit Fixkosten umfasst, sondern auch die laufenden Kosten beinhaltet, dann passt bei halber Tierzahl oder einem Drittel der Tierzahl die ganze Rechnung nicht mehr. Denn der Landwirt rechnet mit der Tierzahl, für die der Stall genehmigt wurde. Sie müssen sich vor Augen führen, dass ein Stallgebäude meist über einen Zeitraum von 15 Jahren abbezahlt wird.  Wenn jetzt nur die Hälfte der Tiere aufgestallt wird, dann dauert die Abschreibung eines Stalles doppelt so lange und dann rechnet sich das Ganze nicht mehr. Viele Landwirte werden sich entscheiden aufzuhören. Und das wäre der konkrete Abbau der Tierhaltung.

40 Kilogramm pro Quadratmeter – das geht nicht

Was sind die größten Knackpunkte des Eckpunktepapiers für die Putenhalter?

Ganz eindeutig: Die Senkung der Besatzdichte auf 40 Kilogramm pro Quadratmeter Stallfläche für die Hähne und 35 Kilogramm für die Hennen. Hinzu kommen Vorschriften für die maximale Tierzahl pro Quadratmeter 1,9 Tieren (Hähne) und 3,1 Tieren (Hennen). Wenn man es genau nimmt, ist dies eine doppelte Beschränkung der Besatzdichte. Das gab es sonst noch in keinem Papier. Das sind die strengsten Anforderungen in der ganzen EU. Schlimm ist, dass die Zahlen des Papiers jeder fachlichen und wissenschaftlichen Grundlage entbehren; für dieses Papier wurden offenkundig veraltete und fehlerbehaftete Studien hinzugezogen. So beruft man sich beispielsweise bei der Beleuchtungsstärke auf Dinge, die völlig überholt sind. Auf der anderen Seite werden Beleuchtungsmittel vorgeschrieben, die sich noch in der Phase der wissenschaftlichen Untersuchung befinden. 

Die herangezogenen Daten für Aufzucht und Mast sind also unsinnig? 

Wir vermuten, dass man sich bei der Festlegung der Besatzdichten an Österreich orientiert hat. Dort ist ebenfalls eine Besatzdichte von 40 Kilogramm pro Quadratmeter Stallfläche vorgeschrieben, aber für Hähne und Hennen. Österreich ist für uns das Negativbeispiel schlechthin: Denn aufgrund der strengeren Vorschriften zur Besatzdichte ist der Selbstversorgungsgrad mit Putenfleisch dort auf 30 Prozent zurückgegangen, im Großhandelsbereich sogar auf 7 Prozent. Gastronomie und Außer-Haus-Bereich werden also selten oder nie mit Fleisch aus Österreich versorgt. 

Kein Vorteil fürs Tierwohl

Sie haben gerade die wirtschaftliche Seite des Negativbeispiels Österreich beschrieben. Wie sind denn die Erfahrungen der Österreicher in Bezug auf das Tierwohl?

Es ist wirklich die Frage, ob es überhaupt dem Tierwohl dient, wenn weniger Tiere im Stall sind. Wir können das so nicht nachvollziehen. Landwirte, die ihre Ställe mit niedrigeren Besatzdichten fahren, sagen uns immer wieder, dass die Tiere nicht besser werden, sowohl was das gegenseitige Picken anbetrifft als auch den Anteil der Fußballenläsionen. 

Weil Sie gerade das Thema Kannibalismus streifen - wie ist der Stand der Dinge beim Schnabelbehandeln? 

Wir machen von Wirtschaftsseite ständig Versuche und probieren immer weiter, wie es auch ohne Schnabelbehandeln gehen könnte. Aber eine Lösung haben wir und auch die Wissenschaft derzeit noch nicht gefunden. Die Ausfälle in unbehandelten Beständen sind derzeit noch zwei- bis dreimal größer als in einem behandelten Bestand. Wir hoffen, dass wir irgendwann einmal die Ursache des Attackierens finden werden. Im Übrigen sind die Zuchtunternehmen ständig damit befasst, die Genetik der Puten voranzubringen. Die Genetik beispielsweise hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Ich habe hier oft das Gefühl, dass viele Leute noch die Bilder aus den 80er Jahren vor Augen haben, als Beinprobleme offensichtlich waren.  Doch heute ist das ganz anders: Die Puten sind bis zum Schluss agil, laufen und können auch auf Strohballen oder Tische hüpfen.  

"Wir machen von Wirtschaftsseite ständig Versuche und probieren immer weiter, wie es auch ohne Schnabelbehandeln gehen könnte."

Inwieweit hat der Bundeslandwirtschaftsminister bei der Formulierung seines Eckpunktepapiers eigentlich auf die Expertise des Verbandes Deutscher Putenerzeuger zurückgegriffen? Hat er sich fachlich beraten lassen? 

Das Papier hat uns am 12. Dezember 2022 erreicht, vier Tage vorher waren wir beim Bundesminister zu einem Gespräch. Da war noch keine Rede von einem neuen Eckpunktepapier. Und auch im Vorfeld hat man von Seiten des Ministeriums nicht auf die Expertise des Verbandes zurückgegriffen. Wir wussten zwar, dass ein Papier in Planung ist. Doch wir kannten weder den Zeitpunkt einer geplanten Veröffentlichung noch waren uns Inhalte des Papiers bekannt. Wir setzen darauf, dass das von Cem Özdemir vorgelegte Eckpunktepapier eine Diskussionsgrundlage ist, und wir hoffen auf eine Einladung zum Gespräch, damit wir unsere Bedenken anbringen können. Unsere Stellungnahmen zum Papier haben wir Mitte Januar an das Ministerium gesendet. Natürlich sind wir enttäuscht, dass Fachlichkeit und Wissenschaft bei der Formulierung dieses Papiers im Vorfeld keine Rolle gespielt haben.

"Wir setzen darauf, dass das von Cem Özdemir vorgelegte Eckpunktepapier eine Diskussionsgrundlage ist."

Wie müssten sich die Rahmenbedingungen für deutsche Putenhalter gestalten, damit Betriebe zuversichtlich in die Zukunft blicken können?  

Neben der unverantwortlichen Besatzdichtenreduzierung kritisiere ich ganz besonders, dass man im Vorfeld des Papiers keine Folgenabschätzung gemacht hat. Man kann davon ausgehen, dass vielerorts Putenbetriebe aufgeben werden, weil sie finanzielle Verluste produzieren werden. Die Schlachtereien werden keine Auslastung mehr haben und ihre Betriebe auch schließen. Genauso wird es sich mit Zulieferbetrieben, wie zum Beispiel Futtermühlen, Brütereien und Tierärzten, die zumindest aus der Region verschwinden werden, verhalten. Damit wird der ländliche Raum weiter ausbluten.

Ich hoffe, dass wir mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium in naher Zukunft gute Gespräche führen können und den Verantwortlichen bewusstwird, dass wir für Deutschland nicht einen nationalen Alleingang wollen. Sondern dass ein harmonisierter Rechtsrahmen auf europäischer Ebene im Mittelpunkt stehen soll. Das ganze Thema gehört nach unserer Ansicht nach Brüssel. Als Diskussionsgrundlage sehen wir hier die auf Initiative des Verbands Deutscher Putenerzeugerformulierten Bundeseinheitlichen Eckwerte an, die in unserem Land als gesetzesähnlich angesehen werden. Tierärzte und Veterinärämter nutzen diese Eckwerte und verhängen Sanktionen, wenn sich Erzeuger nicht an die Eckwerte halten. Hier geht Dänemark mit gutem Beispiel voran. Es hat unsere Eckwerte in einem nationalen Gesetz verankert. 

"Das ganze Thema gehört nach Brüssel."

Darüber hinaus denken wir auch an das geplante Tierhaltungskennzeichnungsgesetz: Wie soll dies in der Putenwirtschaft funktionieren, wenn man auf einem Standard beginnt, der schon so hoch ist, dass die verschiedenen Stufen einer Haltungskennzeichnung gar nicht mehr unterzubringen sind? Außerdem gibt es noch die Initiative Tierwohl, die vom Handel finanziert wird. Sie würde mit dem Eckpunktepapier des Bundesministers komplett ausgeschaltet – ein großer wirtschaftlicher Verlust wäre das.

Text:
Cordula Moebius

Cordula Moebius

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Bild: Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.

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