Vor anderthalb Jahren wurde auf Betreiben der Wirtschaft die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) in Leben gerufen. Sie soll die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Stufen der Lebensmittelerzeugung und -vermarktung, insbesondere diejenige zwischen Erzeugern und Handel verbessern. Wie das genau funktioniert, darüber sprach Geflügelnews mit dem Geschäftsführer der ZKHL, Peter Jürgens.
Gutes aus deutscher Landwirtschaft, eine neue Initiative der Wirtschaft
Geflügelnews: Liegen wir richtig, wenn wir die ZKHL, die Zentrale Koordination Handel-Landwirtschaft, als eine Initiative des Handels einordnen?
Peter Jürgens: Jein. Der Handel ist nicht ganz unschuldig an der Gründung der ZKHL. Die Umstände damals machten diese Initiative dringend erforderlich. Hintergrund war die Zunahme von Protesten der Erzeuger und deren Auseinandersetzung mit dem Lebensmittelhandel bis hin zu Blockaden der Handelsläger und Verteilzentren. Dieser Protest hat verschiedene Player sensibilisiert und dem Handel gezeigt, dass er auf die Erzeuger zugehen und den offenen Dialog suchen muss. Dieser fand zunächst in Form des Verbändebündnisses „Agrardialogs“ statt, der sich aber Ende 2021 aufgespalten und in Teilen als „Netzwerk Agrar“ die Zusammenarbeit mit der ZKHL fortgeführt hat.
Die ZKHL selbst wurde vom Handelsverband Deutschland, dem Deutschen Bauernverband und dem Deutschen Raiffeisenverband im Jahr 2021 initiiert. Inzwischen wird die Initiative von 15 Mitgliedsorganisationen getragen. Neben den Gründungsorganisationen sind dies die i.m.a. (information.medien.agrar e. V.), die Handelsvereinigung für Marktwirtschaft, der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels, die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen, das Wirtschaftswissenschaftliche Institut der Agrarwirtschaft, der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft, die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften für Vieh und Fleisch, das Netzwerk Agrar, die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, die Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, der Deutsche Verband Tiernahrung und der Milchindustrie-Verband.
Geflügelnews: Was verbirgt sich konkret hinter der ZKHL? Haben wir es hier mit einem neuen Siegelsystem zu tun, das sich zu den bestehenden Programmen wie KAT, QS, VLOG, Global GAP oder IFS hinzugesellt?
Jürgens: Das Allerwichtigste ist: ZKHL stellt keine Konkurrenz zu KAT, QS und co. dar! Es ist vordergründig kein Siegelsystem und es ersetzt nicht die bestehenden Initiativen. Es ist vielmehr eine Dialogplattform der beteiligten Sektoren und Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette „Lebensmittel“ und eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Siegelsystemen; es schließt eine offensichtliche Lücke im Dialog der Stufen, vor allem diejenige zwischen Landwirtschaft und Handel.
Ein wesentliches Ziel der ZKHL besteht in der nachhaltigen Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Erzeugern, Industrie und Lebensmittelhandel in Deutschland. Dazu gehört derzeit die Entwicklung einer Branchenvereinbarung zur Sichtbarmachung von Lebensmitteln aus deutscher Erzeugung und Verarbeitung sowie der dazu erforderlichen Kennzeichnung der Produkte aber auch die Unterstützung der Akteure im Fall von Auseinandersetzungen innerhalb der Kette auf Basis eines Lebensmittel- oder Verhaltenskodex. Dies sind Themen, die derzeit in keiner der genannten wirtschaftlichen oder politischen Initiativen unmittelbar im Fokus stehen. Die Strategie der ZKHL besteht darin, derartige Themen ergebnisoffen aufgreifen und auf höchster Ebene erörtern, weiterentwickeln und gegebenenfalls mit Forderungen an die Politik oder Lösungsansätzen für die Wirtschaft zu versehen. Damit ist die ZKHL in gewisser Weise ein Novum, wobei das Prinzip bereits im Rahmen des Agrardialogs, in dessen Nachfolge sich die ZKHL sieht, erfolgreich zur Anwendung gekommen ist.
Geflügelnews: Sie sagen, dass die Zusammenarbeit in der Lebensmittelkette nachhaltig verbessert werden und in einer offenen und konstruktiven Diskussionsrunde Probleme in der Lebensmittellieferkette gemeinsam gelöst werden sollen. Wie müssen wir uns das konkret vorstellen?
Jürgens: Es gibt bereits viele gute Beispiele für die Kooperation entlang der Wertschöpfungskette: ORGAINVENT war diesbezüglich unter dem Eindruck der BSE-Krise Ende der 90er Jahre Vorreiter. Aber auch Systeme wie QS oder KAT stellen hier einen „runden Tisch“ der beteiligten und betroffenen Branchen dar, in der Regel immer mit einem konkreten Auftrag, sei es das Thema „Lebensmittelsicherheit“ oder die Frage der „Haltungsform“. Die ZKHL ist hier nicht auf ein spezielles Thema festgelegt. Sie stellt vielmehr eine universelle Dialogplattform dar, um im Konsens der Mitglieder aktuelle und zukünftige Fokusthemen aufgreifen und bearbeiten zu können, sei es, um Argumente für den öffentlichen bzw. politischen Diskurs zu liefern oder Impulse für die Weiterentwicklung bestehender Systeme und Strukturen zu geben.
Geflügelnews: In welchem Turnus kommen die Beteiligten zusammen? Trifft man sich regelmäßig?
Jürgens: Wir haben verschiedene Ebenen: Die Mitgliederversammlung trifft sich einmal im Jahr, der Vorstand vierteljährlich. Des Weiteren gibt es auf der Arbeitsebene einen so genannten Steuerungskreis, der sich - über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg - aus Vertretern der Verbände, vor allen Dingen aber der Unternehmen zusammensetzt. Hier sitzen die großen Handelsketten und auch Industrievertreter aus der Fleisch- und Milchwirtschaft alle mit am Tisch. Dieser Steuerungskreis liefert die Inhalte und trifft Entscheidungen, wenn es um die Fokusthemen des ZKHL geht. Er nutzt zur Unterstützung der fachlichen Detailarbeit verschiedene Arbeitsgruppen, zum Beispiel die Arbeitsgruppe Schwein, die Arbeitsgruppe Prüfsysteme oder die Task Force Herkunft. Auf der Arbeitsebene hat man sich in den letzten anderthalb Jahren fast wöchentlich getroffen. Ziel ist es, bis Mitte 2023 so weit zu sein, dass erste geeignete Produkte mit dem Herkunftskennzeichen ausgestattet werden können.
Keine Neuerfindung der CMA
Geflügelnews: All das ist mit Kosten verbunden, die am Ende vermutlich vom Verbraucher getragen werden. Das lässt Umsatzeinbußen durch noch mehr Auflagen befürchten. Und die anstehende Branchenvereinbarung zur Herkunftskennzeichnung weckt Erinnerungen an die CMA.
Jürgens: Eine Neuerfindung der CMA ist das nicht, keine Sorge. Wir arbeiten hier auf rein freiwilliger Basis und ohne staatliche Fördermittel. Die Finanzierung wird zum einen über Mitgliedsbeiträge und zum anderen perspektivisch aus den Lizenzeinnahmen des Herkunftskennzeichens erfolgen. Die Lizenzen werden durch die teilnehmenden Lebensmittelhandelsunternehmen sowie durch die Lebensmittelhersteller entrichtet. Die Höhe der Lizenzen wird sich dabei, das ist sicher, nicht in Form von höheren Verbraucherpreisen für die gekennzeichneten Lebensmittel widerspiegeln. Auf der anderen Seite dürfte die Hoffnung der Landwirtschaft, durch das Zeichen unmittelbar höhere Erlöse für ihre Produkte zu erwirtschaften ebenso unrealistisch sein. Es geht vielmehr darum, durch eine sichtbare Kennzeichnung von Lebensmitteln aus deutscher Erzeugung eine nachhaltige Wertschätzung beim Verbraucher zu erzielen, damit dieser eine bewusste Entscheidung treffen kann. Und diese wird dann im wachsenden internationalen Wettbewerb zum Erhalt der Wertschöpfung für einheimische Erzeuger führen. Das wird allerdings nie für das gesamte Sortiment möglich sein.
Geflügelnews: Wenn wir jetzt aus Sicht des Landwirtes sprechen, der beispielsweise KAT- oder QS-Mitglied ist und seine Tiere nach den Vorschriften dieser Vereine hält: Braucht ein solcher Landwirt eigentlich noch ein weiteres Siegel?
Jürgens: Alle diese Systeme sind ja nicht auf bestimmte Herkünfte festgelegt. Sie sind international und müssen offen sein. Natürlich können diese Systeme eine Herkunft mit ausweisen, vorgeschrieben ist dies jedoch nicht.
Geflügelnews: Die Systeme könnten natürlich auch ihre eigenen Kriterien anpassen…
Jürgens: Selbst wenn dies der Fall wäre, geht es bei ZKHL ja um etwas anderes, nämlich darum, über die Sortimente und Produktgruppen hinweg ein einheitliches Zeichen zu haben. Dieses Zeichen existiert bereits. Es wird der Öffentlichkeit jedoch erst dann präsentiert, wenn die Branchenvereinbarung finalisiert ist. Den Slogan kann man bereits heute nennen: „Gutes aus deutscher Landwirtschaft“. Das Zeichen wird für jedwede Produktform und Verpackung geeignet sein. Und jeder Nutzer kann die Ereignisse, die für sein Produkt hinter dem Zeichen stehen, zusätzlich kenntlich machen.
Null neues System
Jürgens: Um das noch einmal zu unterstreichen: Es geht ausschließlich um die Herkunfts-Ereignisse und nicht um Qualität, Inhaltsstoffe oder um das Thema Lebensmittelsicherheit. Alle anderen Systeme, die wir an diesen Stellen haben, sind hier nicht tangiert und ZKHL stellt weder KAT, noch QS oder IFS oder Global GAP oder den Herkunftsspezialisten ORGAINVENT in Frage. Wir brauchen diese bewährten Systeme weiterhin, um die Fülle an Anforderungen sicher umsetzen und auch das Ergebnis verifizieren zu können. Jedes dieser Systeme ist quasi der TÜV für die jeweiligen Anforderungen beim Thema Lebensmittelsicherheit, Haltungskennzeichnung, gute landwirtschaftliche Praxis oder Herkunftskennzeichnung. Hier will ZKHL kein weiteres Prüfsystem entwickeln, sondern sich wie gesagt auf bestehende Strukturen stützen und mit diesen kooperieren. Die Komplexität der Themen, die eben nicht allein im Markt gelöst werden können, erfordert aber nach unserer Überzeugung eben diese Dialogplattform, auf der unabhängig und unbeeinflusst vom operativen Tagesgeschäft Fokusthemen aufgegriffen und bearbeitet werden können.
Geflügelnews: Bleiben wir nochmal beim KAT-Zeichen. In einer Packung mit einem solchen Zeichen können natürlich auch holländische, französische oder belgische Eier sein. Das ist dann aber nicht mit dem ZKHL-Zeichen zu verbinden.
Jürgens: Wenn die Eier die Printung DE führen, dann ist es kein Problem, wenn beide Zeichen nebeneinander auf der Verpackung stehen.
Geflügelnews: Das klingt zunächst einmal sehr gut. Nur wie wollen Sie dies kontrollieren?
Jürgens: Das wollen wir mit Hilfe der etablierten Prüfsysteme kontrollieren. Da wird das Rad nicht neu erfunden. Es gibt kein zusätzliches Prüfsystem, sondern die bereits genannten üblichen Verdächtigen KAT, QS, VLOG, Global GAP, IFS, QM Milch, ORGAINVENT etc. sind aufgefordert, hier mit dem ZKHL zusammenzuarbeiten. Klar dürfte dabei sein, dass ein solches Zeichen ohne Kontrollen keine Glaubwürdigkeit entfalten kann. Unser Ansatz ist hier die Schaffung einer kooperativen Prüfsystematik, die sich vollständig und ausschließlich auf die bereits etablierten Systeme und deren Kontrollen stützt. Wir rechnen hier nicht mit zusätzlichen Kosten für die Unternehmen der Wertschöpfungskette und schon gar nicht für die Landwirte.
Geflügelnews: Das hört sich gut an, aber irgendwo müssen Sie doch auch die Kontrolle behalten. Was ist, wenn irgendwo mal etwas passiert? Das muss doch Konsequenzen haben!
Jürgens: Da sind wir beim Thema Sanktionen. Deswegen die Lizenzvereinbarung mit dem Handel, der wiederum die Möglichkeit hat, für seine Hersteller, die das Zeichen aktiv nutzen, entsprechende Vereinbarungen zu formulieren. Wenn im Fall von Prüfungen Fehler identifiziert werden, dann muss das über die ZKHL auch sanktioniert werden. Wir werden uns da – auf die Lizenzvereinbarungen gestützt – mit dem Thema Sanktionierung beschäftigen müssen.
Der Handel zahlt
Geflügelnews: Da haben Sie sich richtig was vorgenommen! Hier ist nicht nur das System gefordert, sondern auch die Inverkehrbringer. Aber Sie haben ja den Handel auf ihrer Seite.
Jürgens: Der Handel hat hier tatsächlich eine Schlüsselposition. Wenn etwas Auswirkungen auf die Lieferantenbeziehungen hat, ist dies die allerwirksamste Sanktion. Solange der Handel eine klare Präferenz hat, und auch seine Erwartungshaltung hier klar kommuniziert, dann ist das das allerbeste Sanktionssystem. Seine Glaubwürdigkeit beim Verbraucher will keiner aufs Spiel setzen.
Geflügelnews: Über welche Produkte reden wir eigentlich derzeit bei ZKHL?
Jürgens: Im Moment reden wir nur über die Monoprodukte – das schiere Fleisch, das Ei, die Milch, Obst und Gemüse in unverarbeiteter Form. Damit will man beginnen. Wo dies möglich und sinnvoll ist, soll die Kennzeichnung später auch auf verarbeitete Produkte ausgedehnt werden können. Die erste ZKHL-Branchenvereinbarung soll übrigens eine Laufzeit von drei Jahren haben, um das Zeichen zu etablieren.
Geflügelnews: Bezahlt der Handel eigentlich auch Lizenzgebühren?
Jürgens: Ja. Und vor allen Dingen der Handel. Weil er ein großes Interesse daran hat, seine Eigenmarken damit auszustatten. Er wird Lizenznehmer. Und er muss seine Hersteller im Rahmen einer Unterlizenz berechtigen, das Zeichen zu nutzen. Dasselbe trifft auf die Markenartikelhersteller zu. Der Handel zahlt im Wesentlichen die Zeche und auf keinen Fall der Landwirt.
Geflügelnews: Konkrete Vorgaben für die Wertschöpfungskette sind sinnvoll und wichtig. Doch besteht da nicht die Gefahr der Abwanderung? Die Schweineproduktion ist rückläufig, gleichzeitig steigt die Produktion in Spanien für Lieferungen nach Deutschland. Wir befürchten, dass sich im Bereich der Geflügelfleischerzeugung eine ähnliche Entwicklung abzeichnet. Wie sehen Sie das?
Jürgens: Die aktuellen Rahmenbedingungen für die Schweine- und Geflügelfleischerzeugung sind sicherlich enorm herausfordernd. Politische Überlegungen hinsichtlich der Haltungsbedingungen lassen befürchten, dass perspektivisch weitere Erzeugungskapazitäten verschwinden bzw. ins Ausland abwandern. Das betrifft insbesondere die Ferkelerzeugung, die Geflügelmast, aber auch die Herkunft der Legehennen, wenn es um das Thema „Kükentöten“ geht. Aber wenn auf der einen Seite der erklärte politische und durch Mehrheiten getragene Wille zur Änderung der Erzeugungsbedingungen besteht, dann ist es umso wichtiger, dass die Unterschiede der einen oder anderen Herkunft für den Verbraucher einfach zu erkennen sind. Wer ein im Vergleich zum Wettbewerb anspruchsvolleres Produkt anbietet, muss ein starkes Interesse daran haben, dass dieses auch entsprechend sichtbar ist.
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