Eigentlich sollte es innerhalb der EU überall gleiche Wettbewerbsbedingungen geben. Für Produktion und Vermarktung von Geflügelfleisch gilt das keineswegs. Marktexperte Dr. Albert Hortmann-Scholten nennt die Gründe.
Geflügelfleisch: Wettbewerbsgleichheit in der EU Fehlanzeige
Auch für deutsche Geflügelmästerinnen und Geflügelmäster sind mit Ausbruch des Ukraine-Krieges unruhige Zeiten angebrochen. Die Auswirkungen auf die Produktionskosten sind enorm. Hinzu kommen Marktverwerfungen, unter anderem infolge der Inflation. Nicht zuletzt sorgt die Politik durch das Eckpunktepapier zur Putenhaltung für massive Zukunftsängste der Branche. Von Dr. Albert Hortmann-Scholten gab es auf dem diesjährigen Geflügeltag Nordrhein-Westfalen eine Einordnung der Faktoren.
Der Marktexperte der Landwirtschaftskammer Niedersachsen nahm dabei kein Blatt vor den Mund, was die Rolle der Bundesregierung angeht: „Das war nur der erste Aufschlag. Uns droht der Wegfall wesentlicher Bereiche der bäuerlichen Geflügelwirtschaft“, warnte er auf Haus Düsse zum Puten-Eckpunktepapier.
Derzeit gibt es noch rund 2.000 Putenmästerinnen und Putenmäster in Deutschland. Dieser Bereich ist in bäuerlicher Hand, sorgt für Einkommen auf den Betrieben und wirtschaftliche Stabilität in ländlichen Räumen. Würde die von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir angedachte Reduzierung der Besatzdichten für Puten umgesetzt, bräche die Produktion hier weg. Sie wäre nicht mehr wettbewerbsfähig. Die erlaubten Besatzdichten liegen in anderen EU-Ländern schon heute teilweise massiv über hiesigen Werten.
Sehr hohe Mindestlöhne in Deutschland
Doch Deutschland ist nicht nur bezüglich der Besatzdichten im Hintertreffen: Die gesetzlichen Mindestlöhne unterscheiden sich sehr stark in den EU-Ländern. Deutschland liegt nach Luxemburg an zweiter Stelle. Die Umsetzung von mehr Tierwohl bedeutet mehr Arbeit, also höhere Arbeitserledigungskosten. „Der Druck auf die Betriebe wird dadurch bei uns immer höher“, sagte Hortmann-Scholten.
Und auch die infolge des Ukraine-Kriegs stark gestiegenen Energiekosten belasten Deutschland mit am stärksten: Bei den Strompreisen ist Deutschland führend innerhalb Europas (Grafik), bei den Gaspreisen für Haushalte sieht es ähnlich aus. Dr. Hortmann-Scholten machte hierfür auch politische Entscheidungen hierzulande mit verantwortlich. Sein Rat an alle Tierhalter: „Den Energieverbrauch im Stall senken ist heute ein Muss.“ Der Einsatz regenerativer Energien gehört bei den Überlegungen dazu.
Hauptkostenfaktor in der Geflügelmast ist das Futter. Es kann - bei hohem Preisniveau - bis zu zwei Drittel der Produktionskosten ausmachen. Hauptbestandteil des Futters ist Getreide, die Preise sind infolge des Ukraine-Krieges massivst in die Höhe geschossen. Aktuell stellt sich die Frage, inwieweit künftig Getreide aus der Ukraine in die EU kommen kann, ob der Seeweg offenbleibt bzw. wie sich die Transporte auf dem Landweg weiter entwickeln. Der Kammerexperte zeigte sich verhalten optimistisch, dass es Entspannung und damit Kostenentlastung beim Hähnchen- oder Putenfutter geben könnte.
Wenig Hoffnung auf günstigere Preise sah er bei den Eiweißfuttermitteln, speziell auch Soja. Non-GVO-Soja schlägt zudem nach wie vor mit plus 10 Euro je Dezitonne zu Buche.
Wirtschaftsdünger sorgt für Extra-Erträge
Erfreulichere Entwicklungen gibt es für Geflügelmäster auf der Einnahmeseite. Die Produktion von Biomethan über Biogasanlagen ist ein wachsender Bereich, von dem Geflügelmäster profitieren. Wirtschaftsdünger erfährt dadurch eine neue Wertigkeit. Musste vor Jahren noch gezahlt werden für die „Entsorgung“ von Mist oder Gülle, hat sich dieser Markt komplett gedreht (Grafik). Laut Dr. Hortmann-Scholten wurde in diesem Frühjahr bis deutlich über 100 Euro je Tonne Hähnchenmist gezahlt. Neben der Verwertung über Biogasanlagen ist angesichts der gestiegenen Mineraldüngerpreise auch die Mistabgabe an Ackerbaubetriebe eine interessante Einnahmequelle.
Macht des Lebensmittelhandels wächst weiter
In Deutschland nimmt die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) weiter zu. Für Produzenten bedeutet das eine wachsende Abhängigkeit. Die Monopolstellung einiger weniger Ketten hat dazu geführt, dass diese Ketten sich erlauben können, immer stärker auf Eigenmarken zu setzen – auch bei Fleisch. Für Erzeuger bedeutet das eine zunehmende Austauschbarkeit.
Laut Dr. Hortmann-Scholten hat der LEH in den vergangenen Monaten zudem seine Macht dazu genutzt, die Spannen bei Fleisch deutlich auszuweiten. Laut einer im Handelsblatt veröffentlichten Studie sind die Erzeuger-/Schlachthoferlöse seit Anfang vergangenen Jahres quasi auf einem Niveau geblieben, die Verbraucherpreise im Discounter stiegen dagegen um 24 %. So wundert es nicht, dass die Eigenkapitalrendite im LEH entsprechend hoch ist, bei Aldi Süd als Spitzenreiter liegt sie bei knapp 20 Prozent!
Das hohe Preisniveau im LEH bzw. der große Abstand zwischen Erzeugererlösen und Verbraucherpreisen könnte bessere Chancen für Direkt- und Regionalvermarkter bedeuten.
Entscheidung über künftige Haltungsstufe
Geflügelmäster müssen sich, so der Marktexperte, auch damit befassen, in welcher Haltungsstufe sie künftig produzieren wollen. Der Markt für Tierwohl-Fleisch sei derzeit kaum abzuschätzen, schwer tut sich der Biomarkt. Hier muss aktuell viel Ware über Sonderangebote abgesetzt werden. Aufgrund der beschriebenen Kostensituation sieht Hortmann-Scholten Deutschland nicht prädestiniert für die Bioproduktion.
Reagieren
Geflügelnews lädt Sie ein, auf Artikel zu reagieren und schätzt Reaktionen mit Inhalt. Die Redaktion behält sich das Recht vor, beleidigende oder kommerziell motivierte Reaktionen ohne Angabe von Gründen zu entfernen.