Deutscher Tierschutzbund: Weniger Tiere, bessere Haltung

07 September 2023
Deutschland
Thomas Schröder

Weniger Konsum, weniger Produktion und auch weniger Tiere in den Ställen. Im Interview mit Geflügelnews zeichnet Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, seine Vision von der Nutztierhaltung der Zukunft.


GEFLÜGELNEWS: Um direkt mit einem Thema anzufangen, das wohl so ziemlich jeden Eiererzeuger in den letzten Jahren beschäftigt hat: Wie stehen sie zur Entscheidung der Bundesregierung, die Geschlechtsbestimmung im Brutei ab 1. Januar 2024 bis zum 13.Tag zu erlauben?

Um es ganz deutlich zu machen: Wir sehen den Weg der Geschlechtserkennung im Ei als eine kurzfristige Brücke auf dem Weg hin zu einer anderen, besseren Tierhaltung. Dabei präferieren wir die Haltung von Zweinutzungshühnern. An dem Gutachten, das dazu geführt hat, die Geschlechtsbestimmung im Brutei bis zum 13.Tag zu erlauben, üben wir noch heute Kritik. Nach unserer Auffassung reicht ein einzelnes Gutachten nicht aus, um das Schmerzempfinden von Embryos zu belegen. Wir reden hier über eine grundethische Frage. Mit der Entscheidung ändert sich ja nichts an dem System, dass wir für tierschutzwidrig halten – an der Haltung von Hochleistungshennen, die eine hohe Eierlegeleistung zu tragen haben. Man repariert nur einen kleinen Teil davon, um den öffentlichen Druck zu beschwichtigen. Das ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Wir finden, dass die Millionen, die in die Forschung für die Geschlechtserkennung im Ei geflossen sind, viel besser in die Forschung zum Zweinutzungshuhn investiert worden wären.  

"Ich halte das Stichwort „ohne Kükentöten“ für eine Verbrauchertäuschung. "

GEFLÜGELNEWS: Wäre die Haltung von Bruderhähnen aus Ihrer Sicht der bessere Weg gewesen?

Die Entwicklung rund um die Bruderhähne hat eine schlimmste Entwicklung genommen Leider hat sich die Politik um die Vorgaben zur Haltung von Bruderhähnen nicht gekümmert. Die Tiere gehen zur Aufzucht ins Ausland und keiner weiß, was da genau passiert. Dazu kommt, dass es auch kaum geeignete Schlachtanlagen für die Bruderhähne gibt. Im Endeffekt haben wir uns mit dem Bruderhahn nur erweiterte Tierschutzprobleme geschaffen. Also können auch die Bruderhähne nur ein Teil des Wegs sein, den man bis zum mehr oder weniger flächendeckenden Einsatz des Zweinutzungshuhns vor sich hat. Die Politik muss sich jetzt darum kümmern, wie eine wirtschaftliche Attraktivität für ein Zweinutzungshuhn geschaffen werden kann.

 

Der Deutsche Tierschutzbunde kritisiert, dass sich die Politik nicht um die Haltung von Bruderhähnen gekümmert hat.

GEFLÜGELNEWS: Wenn wir es richtig verstehen, dann sind auch die im Handel zu findenden OKT-Eier, die Eier ohne Kükentöten, nur ein Teil des Wegs?

Ich halte das Stichwort „ohne Kükentöten“ für eine Verbrauchertäuschung. Es wird suggeriert, dass die Küken leben dürfen. Der Handel macht es sich da sehr einfach. Natürlich will ich auch den Verbraucher in die Pflicht nehmen, der dann nicht jeden Tag sein Ei isst und auch mal zu Alternativen greift, weil wir nur über weniger Konsum und damit weniger Erzeugung tierischer Produkte vorankommen – mit Blick auf Tierschutz, Umweltschutz, und auf Klimaschutz. Schließlich ist da noch der Gesetzgeber, der mit einem ordnungsrechtlichen Rahmen hier die Richtung vorgeben muss – was er eben nicht tut! Er gibt die Richtung vor, das System zu stabilisieren und stellt nicht die Systemfrage in den Mittelpunkt.

GEFLÜGELNEWS: Aber wenn die Menschen weniger Eier essen sollen, entsteht dann nicht eine Lücke in der Proteinversorgung der Bevölkerung?

Es gibt mittlerweile genügend Gutachten und Aussagen darüber, dass auch die pflanzliche Ernährung eine stabile Gesundheit bringt, wenn man diese Ernährung ausgeglichen gestaltet. Insofern halte ich das Argument der mangelnden Proteinversorgung für schräg. Wenn jemand gern ein Ei isst, muss er es mit sich selbst ausmachen – sich aber auch der Folgen für die Tiere bewusst sein. Nicht jeden Tag ein Ei zu essen wäre ein Anfang.

GEFLÜGELNEWS: Der Deutsche Tierschutzbund fordert also einen Abbau, nicht einen Umbau der Tierproduktion?

Ja, wir kämpfen dafür, dass kein Tier mehr für den menschlichen Nutzen leidet oder getötet wird. Das Wort „Abbau“ hat für mich jedoch einen sehr negativen Beigeschmack. Wir wollen in erster Instanz ein Mehr an Tierschutz durch einen Umbau der Tierhaltung und das geht nur mit weniger Produktion und weniger Konsum. Aber Tierschutz will ja nicht von vornherein die Kosten in die Höhe treiben. Er kann auch Chancen auf neue, stabile und nachhaltige Märkte bieten. Seien wir ehrlich: Die Legehenne ist am Ende ihrer Legeperiode wirtschaftlich gesehen ein Abfallprodukt, für deren Verwertung der Halter bis vor kurzem am Schlachthof noch etwas bezahlen musste. Das kann nicht im Sinne von Nachhaltigkeit, Ethik und Mitgeschöpflichkeit sein. Hiervon müssen wir wegkommen. Aber wir wollen auch nicht, dass alle Landwirte beim notwenigen Umbau der Tierhaltung allein gelassen werden. Hier muss der Staat über Fördertöpfe stabilisierend eingreifen und den Landwirten den Übergang erleichtern.

GEFLÜGELNEWS: Welcher Zeitraum des Übergangs wäre denn aus Ihrer Sicht akzeptabel?

Einen genauen Zeitraum will ich hier nicht nennen, denn dahinter stehen ja Zuchtfragen. Es geht uns auch nicht um fünf, zehn oder 15 Jahre: Für uns ist wichtig, dass die Systemfrage geklärt wird und das Ziel klar definiert ist, wie die Tierhaltung zukünftig aussehen soll. Dann bin ich bereit, über die Jahreszahl zu reden. Aber es wäre in jeder Beziehung das teuerste, nichts zu tun!

 

"Ich verstehe, dass Landwirte - wie jede andere Berufsgruppe auch - das Recht haben, ihr Familieneinkommen zu sichern."

GEFLÜGELNEWS: Doch Geflügelhalter müssen Planungssicherheit haben, um ihren Betrieb in die eine oder andere Richtung entwickeln zu können.

Ich glaube, dass ich dafür bekannt bin, dass ich die Planungssicherheit der Betriebe immer nach vorne gestellt habe. Ich verstehe, dass Landwirte - wie jede andere Berufsgruppe auch - das Recht haben, ihr Familieneinkommen zu sichern. Deshalb haben wir diesen Punkt bei der Entwicklung unseres Tierschutzlabels auch berücksichtigt. Ganz gleich was das Ziel ist, ohne Planungssicherheit geht es nicht.

GEFLÜGELNEWS: Und was ist das Ziel für die Landwirtschaft aus Sicht des deutschen Tierschutzbundes?

Eine Änderung des Berufsbildes des Landwirts. Ein Landwirt muss sich aus unserer Sicht in Zukunft auch als Artenschützer und als Umweltschützer verstehen, und zwar stärker als er es bisher ein seinem Berufsbild hatte. Ich kann mir vorstellen, dass diese Debatte für die Landwirte belastend wird, weil sie sich von ihrem gewohnten Berufsbild verabschieden müssen und weil sie vielleicht das Gefühl haben, nicht mehr gebraucht zu werden. Wir wissen jedoch, dass es ganz viele umstellungsbereite Landwirte gibt. Und ich bin der Meinung, dass es nicht untypisch für Branchen ist, Vorgaben zu bekommen. Doch sie müssen realistisch und machbar sein.

GEFLÜGELNEWS: So kann man argumentieren. Da stehen wohl Gespräche mit den Berufsverbänden über die Perspektiven landwirtschaftlicher Betriebe ins Haus. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Durcheinander um die Haltungs- und Herkunftskennzeichnung von tierischen Lebensmitteln? Uns fallen hier die Stichpunkte „Initiative Tierwohl“, „fünfstufiges Tierhaltungskennzeichen des Bundeslandwirtschaftsministers und ZKHL (Zentrale Koordinierung Handel-Landwirtschaft) ein.

Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass ich das Tierhaltungskennzeichen des Bundeslandwirtschaftsministers massiv kritisiere, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen ist dieses Kennzeichen lediglich eine Darstellung des Status Quo, erkennbar an einem Siegel. Und es betrifft bislang nur die Schweine. Es fehlt die große Strategie, wie die anderen Tierarten mit in das Siegel eingebunden werden sollen. Eigentlich hat Herr Özdemir das jetzige System mit seinem Gesetz nur stabilisiert und legitimiert, so dass wir im Tierschutz in bestimmten Bereichen nicht mehr vorwärtskommen. Kein einziges Tier kommt durch die Kennzeichnung in ein besseres System.

Noch schlimmer ist für mich aber, dass wir sowohl aus Tierschutzsicht, aber auch aus Klima- und Umweltschutzsicht, bestimmte Stallsysteme eigentlich nicht mehr haben dürfen, zum Beispiel den Warmstall im Schweinebereich. Und der Verbraucher soll jetzt anhand der unklareren Kriterien an der Ladenkasse entscheiden, wohin die Reise geht. Hier müsste eigentlich das deutsche Ordnungsrecht gestaltet werden. Das ist aus meiner Sicht keine gute, vorausschauende Politik.

Bei der Initiative Tierwohl halte ich die Kriterien grundsätzlich für zu schwach, um hier von Tierschutz zu reden. Ich habe jedoch immer anerkannt, dass die Branche sich bewegt. Viel schlimmer ist für mich jedoch die Haltungsform, die sich daraus entwickelt hat. Diese sorgt gerade für Tierschutzrückschritte. Denn wenn beispielsweise Aldi sagt, dass es die „3“ auf der Packung stehen haben möchte, dann geraten diejenigen unter wirtschaftlichen Druck, die mehr tun, als in Haltungsform 3 als Minimum festgelegt ist. Denn Aldi wird diesen Mehrwert auf Dauer nicht bezahlen. Auf diese Weise werden Pioniere des Tierschutzes ausgebremst, weil sie anders gar nicht mehr mitmischen können, und es kommt zu einer Vermischung der verschiedenen Labels und Standards. Das ist weder Verbrauchertransparenz noch hilft es dem Landwirt.

GEFLÜGELNEWS: Es krankt also an mehreren Stellen.

Ja, aber das liegt daran, dass der Gesetzgeber zu spät angefangen hat, Verbrauchertransparenz zu schaffen und dass sich die „Tiernutzer“ selbst nicht gekümmert haben.

GEFLÜGELNEWS: Auch von Seiten des Tierschutzes wurde ja ein Siegel entwickelt. Nach unseren Informationen greift dies in der Praxis noch nicht so ganz. Sehen Sie denn Chancen, mit Ihrem Tierschutzsiegel weiterzukommen?

Im Markt hat unser Siegel bislang leider noch nicht so funktioniert, wie wir uns das gewünscht hätten. Wir haben die Breite nicht erreicht. Doch wir sind sehr ehrgeizig damit und haben keinen Anlass aufzugeben. Schließlich gibt es kein weiteres Tierschutzlabel außer dem unsrigen. Doch wir spüren, dass der Druck im Markt auch auf unser Label größer wird. Viele unserer Pioniere werden der Reihe nach zurückgeholt. Das ist eine schwierige Lage, die wir im Marketing neu beleuchten müssen, wenn der Prozess des staatlichen Kennzeichens losgeht.

GEFLÜGELNEWS: Um noch einmal auf das Thema Planungssicherheit zurückzukommen: Inwiefern bieten Siegel hier eine Perspektive?

Einige gute Entwicklungen bei den Labels gibt es. Ich denke, dabei zum Beispiel an die Werbegemeinschaft 08-Eier aus Baden-Württemberg. Doch wir als Verband stehen vor dem Dilemma, dass wir keine Riesengelder in die Entwicklung eines Labels investieren können, sondern auf Unterstützung angewiesen sind – zum Beispiel mit dem Handel als Partner. Da stehen wir in einer Art Konkurrenzverhältnis mit der Haltungskennzeichnung. Das ist ein regelrechter Kampf, den ich für das Label, aber zuallererst für den Tierschutz kämpfe. Für uns ist das Label ein Instrument, das zeigen kann, dass ein Mehr an Tierschutz gehen kann. Das ist auch ein Punkt, den Herr Özdemir nicht verstanden hat. Er hat mit der Tierhaltungskennzeichnung ein Instrument eingeworfen, von dem wir noch gar nicht wissen, ob es später hinderlich oder förderlich ist, weil der Rest der Strategie noch fehlt. Und wenn ich das Instrument einzeln bewerte, dann ist die Richtung, in die Herr Özdemir geht, falsch.

GEFLÜGELNEWS: Und was kann der Landwirt selbst tun? Allein auf das Zweinutzungshuhn zu setzen, kann es ja wohl nicht sein.

Für mich liegt die Lösung vor allem in der Frage, wie der Landwirt lokale Märkte für sich erschließen kann. Da braucht es natürlich den Handel als Partner und es braucht national strenge Vorgaben, die mit einer Herkunftskennzeichnung verbunden sind. In Kombination mit einem ambitionierten Tierschutzkennzeichen kann Herkunftskennzeichnung durch aus sinnig sein.

GEFLÜGELNEWS: Dann ist das, was bei der Zentralen Koordination Handel-Landwirtschaft (ZKHL) passiert, in Ihrem Sinne?

Ich habe mich nie gegen eine Herkunftskennzeichnung ausgesprochen, aber nur in Verbindung mit einem Tierschutzkennzeichen. Denn fünf Mal „D“ allein gibt noch nicht die Sicherheit, dass damit mehr Tierschutz verbunden ist.

GEFLÜGELNEWS: Und wie beurteilen Sie die Europäische Masthuhn-Initiative der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt?

Wir haben die Europäische Masthuhn-Initiative mitgezeichnet, weil sie im Grundsatz eine Verbesserung des Tierschutzes bedeutet. Das Problem dieser Initiative ist es jedoch, dass sie nicht über die nötigen Kontrollinstanzen verfügt, um die von ihr vorgeschriebenen Kriterien abzusichern. Außerdem fehlt uns bei den Kriterien ein wichtiger Punkt: der Kaltscharrraum. Deshalb haben wir bei der Einführung des Labels in den Handel etwas gebremst.

GEFLÜGELNEWS: Aber der Handel zieht nach unserer Kenntnis mit.

Der Handel zieht mit, weil er es sich einfach machen kann und weil er Tierschutzverbände hat, auf die er verweisen kann. Das nimmt ihm Druck.

GEFLÜGELNEWS: Es gibt also noch viel zu tun. Was empfehlen Sie den Geflügelhaltern für die Zukunft?

Das muss ich nach Tierarten entscheiden. Um bei den Puten anzufangen: Solange es keine nationale Haltungsverordnung für Puten gibt, solange akzeptiere ich keine Putenhaltung in Deutschland. Wir brauchen eine verbindliche Benchmark für diese Haltung.

GEFLÜGELNEWS: Und auch die Eckwerte, die sich die Branche selbst gegeben hat, akzeptieren Sie nicht?

Es sind Eckwerte - eine freiwillige Vereinbarung, die man nicht als Grundlage für ein staatliches Kennzeichen nehmen kann. Die Eckwerte der Branche reichen aus Tierschutzsicht jedoch lange nicht aus. Im Kern: Wir fordern, dass das Schnabelkürzen bei Puten verboten wird. Über die Kilogramm pro Quadratmeter Stallgrundfläche können wir uns unterhalten, wenn eine staatliche Verordnung existiert. Eines ist jedoch klar: Hier muss eine 4 als erste Ziffer stehen.

GEFLÜGELNEWS: Und bei den Hähnchen?

Bei den Hähnchen müssen vor allem die Fragen des Stallbau, des Außenklimas und der Besatzdichte gelöst werden. Für alle Tierarten bleibt eine Linie klar: wir fordern weniger Konsum, weniger Produktion und auch weniger Tiere in den Ställen.

Das Interview führten Cordula Möbius und Dr. Caspar von der Crone

 

Geflügelnews
Bild: Deutscher Tierschutzbund, Cordula Möbius

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