NGW: „Wir können nicht gegen den Markt produzieren“

06 September 2023
Deutschland
Ripke Schröder

Von links: Thomas Schröder, Friedrich-Otto Ripke und Thomas Ebenfeld

Geflügelhalter brauchen sich um den Markt wenig Sorgen machen. Probleme bereiten Ideen des Lebensmittelhandels und der Politik. Ohne Wirtschaftlichkeit und realistische Zeitachse funktioniert der gewollte Umbau der Tierhaltung nicht - so der dringende Appell der niedersächsischen Branche.

Friedrich-Otto Ripke, wiedergewählter Präsident des Landesverbandes der Nie-dersächsischen Geflügelwirtschaft, NGW, brachte es auf den Punkt: „Wir können am Markt gut bestehen!“ Das betonte er auf der Mitgliederversammlung seines Verbandes in Dötlingen (Landkreis Oldenburg). Der NGW ist mit rund 1.600 Mitgliedern der größte Landesverband der Geflügelwirtschaft.

Der Pro-Kopf-Verbrauch bei Geflügelfleisch und Eiern ist stabil. Die Initiative Tierwohl, entsprechend der Haltungsstufe 2 des Handels („Stallhaltung plus“), wird gut nachgefragt. Etwa 90 % des hiesigen Hähnchenfleischs kommen aus Haltungsstufe 2, bei Puten sind es etwa 70 %. Dieses Fleisch werde gekauft, so Ripke.

Pläne des Lebensmittelhandels nicht umsetzbar

Als irreal bezeichnete er jedoch die Pläne des Lebensmittelhandels, speziell Aldi, künftig hauptsächlich auf die höheren Haltungsstufen 3 und 4 zu setzen: „Unsere Betriebe können derzeit gar nicht umbauen für 3 und 4, die Genehmigungen da-für fehlen und es gibt keinen Bestandsschutz.“ Sehr kritisch sah der NGW-Präsident dabei, dass Aldi mit seinen Ankündigungen den Kunden suggeriere, dass noch mehr Tierwohl einfach umsetzbar sei.
Den gleichen Vorwurf richtete er an die Politik. Sie lasse die Realität (bei Produ-zenten und Verbrauchern) außen vor, wenn sie glaube, man könne nur in Haltungsstufe 3 oder 4 produzieren: „Das ist Wunschdenken und teilweise auch Ideologie!“

Natürlich gebe es das Hochpreissegment, aber die Verarbeiter könnten ein Lied davon singen, wie hoch die Rückläufe im Biobereich derzeit seien. Je höher die Haltungsstufen, desto teurer seien die Lebensmittel. Doch für immer teurere Produkte gebe es immer weniger Käufer. „Eine Tierschutzpolitik, die das ausblendet, läuft gegen den Markt und ist zum Scheitern verurteilt“, so Ripke.

Gemeinsam mit Tierhaltern Umbau gestalten

Er appellierte an die Politik, gemeinsam mit den Produzenten eine Strategie für den Umbau der Tierhaltung zu erarbeiten. Die Geflügelhaltung sei eine Zukunftsbranche, in Sachen Nachhaltigkeit und Regionalität schon sehr gut aufgestellt. Ernährungsstrategien der Politik und immer weiter hochgeschraubte Klimaschutzanforderungen, die zu schnell kommen und rein national laufen, gefährdeten die Existenz der Tierhalter. Letztlich gefährdeten sie damit auch den Tierwohlfortschritt.

Verschlimmert werde die Situation dadurch, dass viele Neuregelungen nicht auf EU-Ebene abgestimmt sind. Zunehmende Importe aus Osteuropa wie etwa Polen und ggf. demnächst aus den südamerikanischen Mercosur-Staaten kämen erschwerend hinzu.

Umsetzung von mehr Nachhaltigkeit braucht Unternehmertum

Auf der Mitgliederversammlung verabschiedete der NGW eine Resolution an die Politik mit Forderungen, damit die Geflügelhaltung in Deutschland weiter möglich bleiben kann. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass es unternehmerfreundliche Rahmenbedingungen geben muss, auch, um mehr Nachhaltigkeit umzusetzen.

Kritik am Lebensmittelhandel und der Politik gab es auf der NGW-Veranstaltung auch von Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Schröder stellte als Gastredner beim NGW vor, wie die deutsche Geflügelwirtschaft ihre Zukunft aus seiner Sicht tiergerecht gestalten kann.

Grundsätzlich sehen die Vorstellungen des Deutschen Tierschutzbundes ziemlich anders aus als in der Branche. So lehnt Schröder die Geschlechtsbestimmung im Ei ebenso ab wie die Bruderhahnaufzucht, weil beides „Reparaturmaßnahmen“ an einem „falschen“ System seien, der Legehennenhaltung mit ihrer einseitigen Fokussierung auf die Legeleistung. Als ähnliche „Reparaturmaßnahme“ sah er die Schnabelbehandlung bei Puten.

Deutscher Tierschutzbund kritisiert Haltungskennzeichnung

Doch auch Schröder kritisierte die Pläne von Aldi und Co. sowie der Politik bezüglich der Haltungskennzeichnung. Die Haltungsstufen des Handels beschränkten sich auf wenige dünne Kriterien und nur deren Einhaltung werde honoriert. Wer nicht in das Schema passe und schon mehr in Sachen Tierschutz tue, werde künftig ökonomisch nicht mehr klarkommen.

Und auch die staatliche Haltungskennzeichnung von Cem Özdemir werde nicht dazu beitragen, „dass ein einziges Tier in eine bessere Haltung komme in Deutschland.“ Es fehle die Strategie, wie die Tierhaltung in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll. Die brauche es aber für Planungssicherheit bei den Tierhal-tern und für Akzeptanz der Nutztierhaltung bei den Verbrauchern.

Der Verbraucher – das unbekannte Wesen

Im zweiten, sehr spannenden Vortrag skizzierte Thomas Ebenfeld, Diplom-Psychologe und Marktforscher aus Köln, wie Verbraucher heute „ticken“ im Spagat zwischen ihrem Anspruch, selbst viel mehr für Umwelt- und Klimaschutz tun zu müssen und der Erkenntnis, dass „ein nachhaltiges Leben anstrengend und teuer ist.“ Den Geflügelhaltern riet er, die Kommunikation mit den Verbrauchern weiter zu suchen, sie mitzunehmen und zu zeigen, was auf den Betrieben schon alles passiere im Sachen Tierwohl oder Nachhaltigkeit. Im Kleinen funktioniere das gut regional und vor Ort, im Großen brauche es den Schulterschluss mit Anderen bzw. der Branche.

Christa Diekmann-Lenartz
Bild: Christa Diekmann-Lenartz

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