Der NGW schlägt Alarm: „Es drohen neue Importabhängigkeiten“

13 Oktober 2022
Deutschland
Masthähnchen in einem Stall

Vor einer neuen Abhängigkeit von labilen Importen bei Lebensmitteln warnte der Vorsitzende des Landesverbandes der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft (NGW), Friedrich-Otto Ripke, vergangene Woche auf dessen Mitgliederversammlung. Ripke sieht eine gefährliche Negativentwicklung im Geflügelbereich: Viele Geflügelmäster oder Eiererzeuger steigen aus der Produktion aus oder lassen ihre Ställe leer stehen. Hintergrund sind massiv gestiegene Kosten für Energie, Futter oder Arbeitsentlohnung, die sich zum Winter hin noch einmal erhöhen werden. Hinzu kommen Wettbewerbsnachteile durch Alleingänge beim Tierwohl. 

Die Geflügelmast ist ein Produktionszweig mit hohem Energiebedarf, Küken brauchen sehr hohe Einstalltemperaturen. Mancher Mäster, der seine Wärme nicht günstig von der Biogasanlage beziehen kann, wird sich genau überlegen, ob er im Winter bei Minustemperaturen einstallt. Zudem ist Deutschland Vorreiter in Sachen Tierwohl. Die Teilnahme an der Initiative Tierwohl, geringere Besatzdichten, der Verzicht auf das Schnabelkürzen oder das Verbot des Kükentötens kosten Geld und verschlechtern die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Betriebe. Günstigen Importen wird damit Tür und Tor geöffnet. Dies gilt umso mehr, als die deutschen Verbraucher seit Beginn der Ukraine-Krise beim Einkauf genauer auf ihr Portemonnaie schauen müssen.

Auf der Mitgliederversammlung des NGW in Dötlingen forderte dessen Vorsitzender Friedrich-Otto Ripke deshalb dringend eine Gas- und Strompreisbremse auch für die Land- und Ernährungswirtschaft sowie eine Zusage der Bundesnetzagentur für eine sichere weitere Belieferung der gesamten Produktionskette. Erneut pochte er auf der verbindlichen Herkunftskennzeichnung für alle Lebensmittel und alle Handels- und Verzehrsbereiche. 

Energiekosten von mindestens 16 bis 20 Cent/Tier

Die Ausführungen des NGW-Vorsitzenden wurden von Dr. Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen untermauert. Er sieht die Geflügelwirtschaft in einer existenzbedrohenden Multikrise. Neben dem Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise trügen extrem teure bzw. gar nicht mehr verfügbare Mineraldünger zur schlechten ökonomischen Situation der Betriebe bei. Hähnchenmäster müssten zum Beispiel mit einer Vervielfachung ihrer Energiekosten rechnen, für den kommenden Winter seien hier mindestens 16-20 Cent/Tier anzusetzen. Bei Geflügelfutter gebe es eine Preissteigerung gegenüber dem Vorjahr von teilweise über 40 Prozent. Außerdem sei in Deutschland gerade der Mindestlohn wieder gestiegen. Er liegt jetzt inklusive Arbeitgeberanteil bei 14,40 Euro/Stunde. In Spanien beträgt er 5,76 Euro und in Polen gerade mal 3,64 Euro. „Deutschland hat den höchsten Mindeststundenlohn in der EU“, so der Betriebswirtschaftler der Landwirtschaftskammer. 

Weiter steigende Produktionskosten

Er geht davon aus, dass die Produktionskosten in den kommenden Monaten weiter steigen werden. Sie können jedoch nicht in dem Maße bis an die Ladentheke durchgereicht werden, wie es eigentlich nötig wäre. Schon heute seien die Erlöse für die Mäster nicht kostendeckend. Und bekanntlich kaufen die Verbraucher derzeit sehr preisbewusst ein, teureres Fleisch bleibt im Regal liegen. Die Ankündigung des Lebensmittelhandels, bald nur noch Fleisch von Tieren aus höheren Haltungsstufen anzubieten, werde sich seiner Einschätzung nach derzeit kaum realisieren lassen.

Die Ausweitung der Bioeier und Geflügelfleischerzeugung, die in den letzten Jahren Auftrieb erfahren habe, sei vor dem Hintergrund der geringer werdenden Kaufkraft der Bevölkerung auch aus ökonomischer Sicht sehr sorgfältig zu prüfen. Ökoproduktion weiter zu pushen spiele ausländischen Produzenten in die Hände“, sagte Hortmann-Scholten. Die Selbstversorgungsgrade bei den verschiedenen Geflügelfleischerzeugnissen seien schon zum Teil deutlich rückläufig, insgesamt über alle Geflügelarten würden schon heute keine 100 Prozent mehr erreicht. Große Importmengen an Puten- und Hähnchenfleisch kommen heute aus Polen, wo mit Hilfe von EU-Subventionen eine Vielzahl von neuen Ställen gebaut wurde. 

Bruderhahnmast wenig nachhaltig

Wie sich nationale Alleingänge in Sachen Tierwohl/Tierschutz wirtschaftlich auswirken, zeigte Hortmann-Scholten anhand der Eiererzeugung auf. Durch das Verbot des Kükentötens seit dem 1. Januar dieses Jahres, das es in dieser Form nur in Deutschland gibt, ist die Produktionsmenge in den deutschen Brütereien deutlich zurückgegangen. Ausgebrütet wird der Nachwuchs für Deutschlands Legehennenställe heute vielfach in Polen oder auch Österreich, wo es derartige Gesetzte nicht gibt. In Österreich würden die männlichen Küken an Zoos, Falknereien etc. vermarktet. Für Brütereien hierzulande sei das ein klarer Wettbewerbsnachteil. 

Die Bruderhahnmast hat sich in gewissem Umfang als Alternative etabliert. Für Hortmann-Scholten ist sie unter anderem aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten wenig sinnvoll. Die Bruderhähne hätten eine sehr schlechte Futterverwertung, das Fleisch sei nur schwer vermarktbar und belaste momentan sogar die internationalen Märkte, zum Beispiel in Afrika, wo man gerade mit dem Aufbau einer kleinbäuerlichen Geflügelhaltung beginnt. 

Des Weiteren ist das in Deutschland geplante Gesetz, dass eine Geschlechtsbestimmung im Ei schon vor dem 6. Bruttag vorschreiben will, für Hortmann-Scholteh nicht vertretbar: „Wir brauchen dringend einheitliche, EU-weite Standards“, so der Experte. Auch er forderte eine EU-weite verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung auf allen Stufen der Fleischvermarktung. Einig war er sich mit dem NGW-Vorsitzenden Ripke, dass angesichts der massiven Geflügelpest-Problematik dringend ein Impfstoff entwickelt werden müsse und Marktregelungen für geimpfte Tiere zu ändern seien. 

Beim Verbraucher beliebt

Trotz der derzeit sehr schwierigen Situation hierzulande, beurteilte Hortmann-Scholten die generellen Zukunftsaussichten für die Geflügelfleischerzeugung positiv: Geflügelfleisch sei nach wie vor beim Verbraucher beliebt. Zudem rangiere es beim CO2-Fußabdruck im Vergleich zu anderen Fleischarten am unteren Ende. Der CO2-Fußabdruck wird als Nachhaltigkeitskriterium bekanntlich immer stärker diskutiert.  

Ein stärkeres Augenmerk sollten Geflügelhalter seines Erachtens auf die Verwertung ihres Wirtschaftsdüngers legen. In Zeiten von Mangel und Kostenexplosionen bei Mineraldüngern gewinne Hühnertrockenkot oder Geflügelmist stark an Vorzüglichkeit. Der momentane Handelswert liegt deutlich unter dem Düngewert: „Hier gibt es noch Luft nach oben,“ so Hortmann-Scholten. 

Land und Forst / Christa Diekmann-Lenartz
Bild: Cordula Möbius

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