„Allein mit Biosicherheitsmaßnahmen bekommen wir die Krise nicht in den Griff“, sagt Friedrich-Otto Ripke. „Unsere Forderung an die Politik auf Landes- und Bundesebene ist es deshalb, jetzt Forschungsmittel in die Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Klassische Geflügelpest zu stecken.“ Geflügelnews sprach mit dem Präsidenten des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft darüber, wie sich die Situation der Geflügelwirtschaft in Deutschland vor dem Hintergrund der massiven Zahl von Geflügelpest-Ausbrüchen sowie hoher Futter- und Energiepreise darstellt und wie der Verband seinen Mitgliedern in dieser Situation hilft.
„Wir brauchen so schnell wie möglich einen Impfstoff gegen die Geflügelpest“

Geflügelnews: Wenn es darum geht, die Situation der Geflügelwirtschaft in Deutschland zu beschreiben, beginnt man wohl am besten mit der Geflügelpest, die ja inzwischen zu einem ganzjährigen Problem der Geflügelhalter geworden ist. Die Seuche ist mittlerweile das ganze Jahr über präsent und hängt europaweit wie ein Damoklesschwert über den Geflügelhaltern.
Friedrich-Otto Ripke: Das kann man so ausdrücken und wir haben diese Situation seit einiger Zeit kommen sehen, zum Beispiel in Niedersachsen, wo die vielen Küstengebiete besonders betroffen sind. Nach Überzeugung der Fachleute ist die Vogelgrippe inzwischen endemisch geworden und schlägt trotz hoher Biosicherheitsmaßnahmen in Deutschland richtig rein. Zwar haben die Maßnahmen der Biosicherheit auf die Grundgesamtheit bezogen viel gebracht – von 170 Millionen Geflügeltieren in Deutschland haben wir „lediglich“ 850.000 bis 900.000 Tiere töten müssen, also unter ein Prozent. Aber allein mit Biosicherheitsmaßnahmen können wir die Krise nicht in den Griff bekommen. Die befallenen Wildvögel sitzen vor der Stalltür.
Impfung gegen Geflügelpest: „Wir haben keine Zeit zu verlieren!“
Deshalb suchen Sie nach anderen Lösungen. Wäre die prophylaktische Impfung aus Ihrer Sicht eine solche Lösung?
Es stimmt, dass unser Verband weitere Lösungen verfolgt, ohne jedoch Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben. Wenn der Druck so hoch ist wie zurzeit, dann muss man einfach mehr tun. Wir haben deshalb mit dem Friedrich-Löffler-Institut schon vor einiger Zeit über eine mögliche Impfung verhandelt, damals ohne zu ahnen, dass unsere Forderung nach einer Impfung so schnell so wichtig ist, weil sich die Dinge so dramatisch entwickeln. Auch die Politik bitten wir seit Jahren um entsprechende Forschungsmittel.
Haben sie einen Zeitplan für dieses Vorgehen?
Das ist eine sehr interessante Frage. Fest steht, dass wir einen Impfstoff injizieren müssen, zumindest in den ersten Jahren. Damit scheiden die kleinen Tiere zunächst aus. Also fangen wir mit den Gänsen und Puten an. Das sind auch die Arten, die am meisten von der Geflügelpest betroffen sind und die - wie im Falle der Gänse - keinen Stall als Biosicherheitshülle um sich haben. Außerdem haben wir die Hoffnung, dass wir bei den kleineren Geflügelarten den Status noch eine Weile halten können.
Für die Impfversuche werden wir die Gänse stellen und einige Tiere auf der Insel Riems aufstallen. Die Impfstoffe für die Versuche werden wir importieren müssen. Mit Herstellern von Impfstoffen wurde der Kontakt bereits aufgenommen. Wir haben keine Zeit zu verlieren und wir haben größtes Interesse daran, dass dieser Impfversuch auch mit Frankreich und Holland abgestimmt wird.
Doch bis ein wirksamer Impfstoff zu Verfügung steht, wird wohl noch einige Zeit ins Land gehen. Bedenken Sie allein die große Anzahl von 140 Subtypen des Virus. Es wird schwierig bis unmöglich sein, einen Marker-Impfstoff zu entwickeln, der alle Subtypen abdeckt und über Monate wirkt. Ohne markierten Impfstoff können wir den Seuchengang jedoch nicht mehr verfolgen und geimpfte Tiere nicht von erkrankten unterscheiden. Ich rechne mit einer Dauer von vier bis fünf Jahren, bis wir einen Impfstoff haben. Und warum soll sich nicht auch BionTec mit seiner mRNA-Technologie dieser Thematik widmen. Der Impfstoff-Markt erstreckt sich jetzt über ganz Europa und darüber hinaus. Ich habe die Hoffnung, dass es dadurch etwas schneller gehen wird.
Aber wir haben jetzt das Problem.
Wir brauchen den Impfstoff tatsächlich so schnell wie möglich. Unsere Forderung an die Politik auf Landes- und Bundesebene ist es deshalb, jetzt Forschungsmittel in die Entwicklung eines Impfstoffes zu stecken. Das war in den letzten Jahrzehnten in Europa nie ein Thema, weil Produkte aus geimpften Tieren nicht handelsfähig waren. Dabei sind diese Produkte genauso gut wie die Produkte aus ungeimpften Tieren. Leider will der Lebensmitteleinzelhandel derzeit nicht riskieren, solche Produkte anzubieten. Die Notwendigkeit besteht: Wenn wir den Impfstoff haben, muss die Ware auch handelsfähig sein. Denn wir haben in Europa einen grenzüberschreitenden Handel und wir wollen auch den globalen Handel erhalten. Dazu ist aber auch eine Änderung des EU-Handelsrechtes und der Verbrauchereinstellung nötig.
Vielleicht ist der Zeitpunkt günstig, weil doch die Diskussion um die Impfung in der Bevölkerung gerade sehr präsent ist.
Da bin ich ganz bei Ihnen. Ich hoffe, dass die Forschungsmittel wieder eine starke Entwicklung auslösen. Jetzt ist die Corona- Impfung als hilfreiches Instrument bekannt. Das könnte uns bei der Auflösung des Handelsverbotes helfen. Fest steht, dass die Geflügelpest den Geflügelstandort Deutschland gefährdet, um es mal vorsichtig auszudrücken.

„Geflügel gehört in Kategorie B des EU-Seuchenrechts!“
Welche Schritte müssten nach Ihrer Ansicht gegangen werden, damit genau das nicht passiert?
Wir müssen zunächst vor allem davon ausgehen, dass die Einstufung der Geflügelpest in die Kategorie A nach EU-Seuchenrecht nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn wir jeden auftretenden Fall sofort merzen müssen, haben wir in Europa bald kein Geflügel mehr. Um die Geflügelwirtschaft in den nächsten Jahren zu erhalten, müsste diese Seuche in Kategorie B eingestuft werden. Das hat Vor- und Nachteile: Der Vorteil wäre, dass die Radien der Restriktionsgebiete dann kleiner gestaltet werden könnten. Ich glaube, dass wir das für die Übergangszeit bis zum Impfen brauchen. Ein Nachteil wäre, dass wir sehr viel mehr aufzeichnen müssten. Fakt ist: wenn an jeder Stallecke infizierte Wildvögel sitzen, können großflächige Restriktionsgebiete nur noch beschränkt wirken. Das bestätigt auch die geringe Zahl von Sekundärausbrüchen, das heißt das Springen des Virus von Stall zu Stall.
„Wir versuchen, die rückwirkende Kürzung beim Tierseuchenrecht aufzuheben“
Auf deutschen Geflügelhalter kommen möglicherweise höhere Kosten für die Bekämpfung von Tierseuchen zu, weil die EU-Kommission die gezahlten Zuschüsse für den Bereich Lebensmittelsicherheit rückwirkend kürzen will. Was tut der ZDG, um seinen Mitgliedern zu helfen?
Gegen die rückwirkende Kürzung der Zahlungen der EU-Kommission werden wir klagen, gemeinsam mit Verbänden anderer Tierarten. Wir bewerten dies als Bruch des Vertrauensschutzes und des Bestandsschutzes. In diesem Punkt haben wir auch die Zustimmung und die Unterstützung des Bundeslandwirtschaftsministers. Allein für die Putenhalter in Niedersachsen bedeutet eine Reduzierung der Entschädigung von 50 Prozent auf 30 Prozent, dass sie nachträglich 3,5 Millionen zusätzlich selbst aufbringen müssen. Viele Putenhalter können dann bei Jahresbeiträgen zur Tierseuchenkasse von fast 2 Euro pro Hahn den Laden dichtmachen. Die Geflügelpest hat also auch drastische ökonomische Auswirkungen. Deshalb werden wir über Land und Bund Beitrag versuchen, die Rückwirkung aufzuheben und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt!
Spannend wird es übrigens auch beim Thema Versicherungen: In den letzten Jahren haben wir uns bei den Tierversicherungen sehr gute Ertragsschadenskonditionen erarbeitet. Doch aufgrund der endemischen Geflügelpest steigt das Risiko der Versicherer in schwindelerregende Höhen, weshalb diese wiederum ihre Beiträge erhöhen. Viele Tierversicherer überlegen, ob sie unter diesen Bedingungen im Geflügelbereich überhaupt noch Ertragsschadensversicherungen abschließen können. Doch das müssen wir unbedingt erhalten. Mein Ziel ist es darüber hinaus, die so genannte Mehrgefahrenversicherung auch für Tiere zu öffnen.
Bei der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Geflügelhaltung ist derzeit wohl jede Form von Unterstützung beziehungsweise Entlastung wichtig. Die hohen Futter- und Energiepreise lassen doch keinen Spielraum mehr zu.
Das ist wohl wahr. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir auch schon vor den massiven Ausbrüchen der Klassischen Geflügelpest viel Leerstand hatten. Bei den Puten waren es im Jahr 2021zum Beispiel etwa 15 Prozent. Dieser Wirtschaftszweig hat sehr stark unter Corona gelitten, weil die Orte mit Gemeinschaftsverpflegung wie Mensen und Kantinen geschlossen waren, die Putenfleisch besonders oft nachfragen. Und aktuell kommt die Energiekrise hinzu. Wir haben als Verband erreicht, dass die Geflügelwirtschaft nach dem Energiesicherungsgesetz zu den Bereichen gezählt wird, die lebenserforderliche Güter herstellen, und die großen Integrationen auf einer Liste großer Verbraucher für Einzelfallentscheidungen der Bundesnetzagentur erscheinen. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Geflügelwirtschaft mit Energie bedient werden könnte, wenn es tatsächlich ernst würde. Die benötigte Gasmenge für unsere Branche beläuft sich übrigens auf rund 2,8 Millionen Megawattstunden. In Niedersachsen allein sind es 1,8 Millionen.
Energieversorgung gesichert
Aber was können die Betriebe selbst tun? Wie kann der ZDG den einzeln Geflügelhaltern beim Energiesparen unter die Arme greifen?
Hier sind wir bereits aktiv geworden. In Niedersachsen existiert bereits ein Erlass, der es Masthühnerhaltern ermöglicht, die Fläche des Stalles in den ersten Tagen nach der Einstallung - wenn der größte Wärmebedarf besteht – partiell abzutrennen. So müssen die Tierhalter nicht mehr den ganzen großen Hähnchenstall heizen, sondern nur noch einen abgetrennten Bereich, in welchem die kleinen Küken genug Platz haben. Mit der partiellen Abtrennung lassen sich bis zu 50 Prozent Energie sparen.
Und wird das vielleicht auch bundeseinheitlich genehmigt?
Wir haben Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gebeten, dies bundeseinheitlich zu regeln. Und ich hoffe, dass sich auch die anderen Bundesländer dem Weg Niedersachsens anschließen.
Die Fragen stellten Caspar von der Crone und Cordula Möbius
Gegenstand des Interviews mit Friedrich-Otto Ripke waren auch die Revision der Vermarktungsnormen, die Position des Verbandes zur Herkunftskennzeichnung, die Selektionsverfahren zur Geschlechtserkennung sowie die Aufzucht von Bruderhähnen. Diesen zweiten Teil des Interviews veröffentlichen wir in Kürze.
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