„Wir sind beim Mastgeflügel bei Stufe 2 mit 85 Prozent der Produktionsmenge bereits im Verkauf“, betont Friedrich-Otto Ripke. „Das ist kein Marktversuch mehr, sondern Realität.“ Der Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft erläutert im zweiten Teil des Interviews mit Geflügelnews die Position des Verbandes zur Herkunftskennzeichnung von Geflügelprodukten. Darüber hinaus äußert er sich zur Aufzucht von Bruderhähnen und zu den Selektionsverfahren zur Geschlechtserkennung im Ei. Seine Forderung hier: „Der 1. Januar 2024 darf im Gesetz zum Verbot des Kükentötens als Fixtermin keinesfalls so stehen bleiben! Sonst wird die Bruderhahnmast nicht aufgegeben werden können.“
„Beim Thema Herkunftskennzeichnung mischen einfach zu viele mit.“
Geflügelnews: Herr Ripke, die Vermarktungsnormen stehen in der Revision, das Mindesthaltbarkeitsdatum soll abgeschafft werden. Wie ist hier die Position des ZDG?
Friedrich-Otto Ripke: Das ist eine schwierige Frage. Das starre Festhalten an einem Termin, ab welchem Lebensmittel weggeworfen werden, ist aus meiner Sicht nicht mehr gerechtfertigt. Im Verband gibt es diffuse Meinungen dazu. Ich halte es für eine sinnvolle Aufgabe, das Thema anzugehen.
Und wie ist die Position des Verbandes zur Herkunftskennzeichnung? Könnte man nicht das KAT-System eins zu eins übertragen? Das System ist für jeden transparent und erkennbar.
Der Meinung bin ich auch. Bei Eiern könnte man sich an das vorhandene KAT- Kennzeichnungssystem anlehnen. Das würde aus unserer Sicht Sinn ergeben. Und für die Geflügelmast könnten wir das Kennzeichnungssystem der Initiative Tierwohl als Grundlage nehmen. Das war unser Vorschlag schon bei der ehemaligen Bundesregierung und bleibt es bei der aktuellen. Wir sind beim Mastgeflügel mit Stufe 2, was Stallhaltung plus entspricht, mit 85 Prozent der Produktionsmenge bereits im Verkauf. Das ist kein Marktversuch mehr, sondern Realität. Die Ware wird gekauft, weil der Verbraucher offensichtlich auch sieht, „das ist ein Tierwohlfortschritt, den ich noch bezahlen kann und will! Das haben wir auch Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir klargemacht. Bislang haben wir dazu aber keine klare positive Reaktion bekommen.
Es gibt auch noch andere Kennzeichen, zum Beispiel das der Albert-Schweitzer-Stiftung. So etwas kann man nicht einfach kippen. Und so ein System muss auch bezahlt werden können.
Das grundlegende Problem ist, dass das keiner auf den anderen so richtig achtet. Es mischen einfach zu viele mit und es wird viel Energie verschwendet. Wir können gedanklich auch noch einen Schritt weitergehen und die EU ins Auge nehmen: Die Kommission versucht natürlich auch, bestimmte Vorgaben für Importe aus anderen Ländern darzustellen. Wir können in Deutschland die besten nationalen Tierwohlkennzeichen ausklügeln - wenn die Lieferungen dann aus benachbarten Ländern kommen, haben wir hierzulande wieder ein Problem, und zwar sowohl bei Eiern als auch bei Geflügelfleisch. Eine novellierte EU-Vermarktungsnorm mit Verbindlichkeit in ganz Europa wäre der Königsweg!
„Das Verbot des Kükentötens muss europaweit gelten“
Wir müssen auch das Thema Bruderhahnaufzucht ansprechen. Hier erscheint die Situation hinsichtlich der Haltungskriterien und Kennzeichnungsvorgaben für Bruderhahnfleisch recht unbefriedigend: Die einen schreiben 49 Tage Aufzucht vor, KAT nennt 70 Tage und die Bioverbände 120 Tage. Dazu kommt die schlechte Futterverwertung der Bruderhähne, die eine Verschwendung von Futter nach sich zieht. Ist die Bruderhahnaufzucht nach Ihrer Ansicht für konventionelle Betriebe sinnvoll?
Ich kann ihre Bedenken nachvollziehen. Die Bruderhahnaufzucht ist aus mehreren Gründen ein ernstes Thema. Hier ist mit dem Gesetz des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Verbot des Kükentötens etwas gemacht worden, dass so nicht funktionieren kann. Wir brauchen ein europäisches Gesetz dafür. Im Moment kann der deutsche Staat zum Beispiel nicht verhindern, dass zunehmend Junghennen nach Deutschland eingeführt werden. Ihre Brüder werden im Ausland weiter getötet. Die Folge ist, dass die kleineren deutschen Brütereien aufgeben und damit auch die Vielfalt der genetischen Entwicklung verloren geht. Hinzu kommt, dass wir eben auch bei den Selektionsverfahren zur Geschlechtserkennung in der Vergangenheit nicht die nötigen Durchsatzmengen hatten und nicht die nötige die Genauigkeit. Außerdem waren die Selektionsverfahren aus Sicht vieler Junghennenkäufer zu Anfang zu teuer, weshalb sich viele Landwirte auf die Bruderhahnmast eingelassen haben. Jetzt gibt es langsam ein Umdenken.
Es wäre sinnvoller, sich auf die embryonale Früherkennung zu konzentrieren
In den vergangenen anderthalb Jahren wurden hier beachtliche Fortschritte gemacht, die Genauigkeit der Selektionsverfahren hat deutlich zugenommen. Derzeit können wir das Geschlecht der Küken etwa ab dem neunten Tag vorhersagen, nicht früher. Ansonsten wachsen die Fehlsexungen und die Schlupfratenbeeinträchtigungen noch ins Uferlose. Firmen wie Seleggt und auch andere erwarten, dass sie es bald besser können, aber bis zum 1. Januar 2024 werden alle nicht so weit sein, dass sie das Geschlecht bis zum siebten Bebrütungstag sicher bestimmen können. Nach unserer Ansicht muss deshalb in dem Gesetz ein Passus wie „sobald der Stand der Technik erreicht ist“, ergänzt werden. Der 01. Januar 2024 darf als Fixtermin keinesfalls so stehen bleiben! Sonst wird die Bruderhahnmast nicht aufgegeben werden können, die eigentlich nur noch wenige so richtig wollen. Voller Import von Junghennen wäre die auch vom Gesetzgeber nicht gewollte Folge!
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