In Brüssel für die AI-Impfung kämpfen!

27 September 2022
Krankheiten
Stall

„Wenn wir in Deutschland und in Niedersachsen weiter Nutzgeflügel halten wollen, führt an der Impfung gegen Geflügelpest kein Weg vorbei“, sagt Dr. Ursula Gerdes von der Niedersächsischen Tierseuchenkasse. Die Tierärztin sieht anhand der Zahlen, dass die Aviäre Influenza (AI) zur ständigen Bedrohung für Geflügelhaltungen geworden ist und hält die Impfung vor allem für Elterntiere und in Risikogebieten für unausweichlich. Bislang verzeichne Niedersachsen (mindestens) 26 Fälle der Geflügelpest, die das Land im Jahr 2022 bereits 10,7 Millionen Euro gekostet haben, erklärt die Expertin in einem Interview mit der Zeitschrift Land und Forst. 

Frau Dr. Gerdes, die Geflügelpest grassiert inzwischen ganzjährig auch in Niedersachsen. Wie viele Fälle gab es 2022 schon?

Wir haben in Niedersachsen vom 1. Januar 2022 bis heute bereits 26 Fälle von Geflügelpest zu verzeichnen. Darunter waren 13 Betriebe mit Putenmast, zwei mit Hähnchenmast, neun Legehennen-Betriebe, ein Gänsebetrieb und ein Mastelternbetrieb.

Wie hoch waren Ihre Kosten 2022 und wie sah es davor aus?

Wir haben 2022 bislang schon Kosten von 10,7 Millionen Euro zu verzeichnen. Im vergangenen Jahr waren es - bedingt durch die beiden Geflügelpestwellen in den Wintern 2020/2021 und 2021/2022 - 22,1 Millionen Euro. In den Wintern 2008/2009 und 2016/2017 gab es auch größere AI-Wellen mit Kosten von 14,6 bzw. 12 Millionen Euro.

Seit 2021 gibt es eine getrennte Berechnung der Refinanzierung der Kosten für jede Geflügelart, damit wird das Verursacherprinzip stärker angewendet. Wie gut gefüllt sind die Kassen?

Wir brauchen für den Geflügelbereich insgesamt eine Rücklage von 32 Millionen Euro. Das ist die Summe, die von den Tierhaltern kommen muss. Bei den Entschädigungen im Seuchenfall und den nötigen Tötungen beteiligt sich das Land zu 50 Prozent an den Kosten, die EU zahlt vom Rest 50 Prozent, so dass für die Tierseuchenkasse 25 Prozent bleiben - plus die Kosten für Reinigung und Desinfektion von betroffenen Betrieben. An letzteren Kosten beteiligt sich die EU nicht, da müssen Tierseuchenkasse und Land je die Hälfte zahlen.

Da es seit 2016 regelmäßig Geflügelpestausbrüche gibt, kann die Refinanzierung der Ausgaben nicht auf die lange Bank geschoben werden. Daher haben die Gremien der Tierseuchenkasse beschlossen, dass dies spätestens in einem Zeitraum von zwei Jahren erfolgen soll. Hiernach richten sich unter anderem die jährlichen Tierseuchenkassen-Beiträge pro Tier. Aktuell refinanzieren die Geflügelhalter noch das AI-Geschehen aus 2020/21. In diesem Jahr sind aber schon wieder 10 Millionen Euro verbraucht worden. Auch diese Summe muss wieder reinkommen. 2023 wird es deshalb noch einmal deutliche Erhöhungen der Tierseuchenkassen-Beiträge vor allem für Putenmäster und für Legehennenhalter geben müssen.

Die Geflügelpest scheint dauerhaft in der Wildvogelpopulation zu bleiben: Haben Sie Sorge, dass der Geflügeltopf irgendwann in nächster Zeit leer sein könnte?

Diese Sorge habe ich im Moment nicht. Wenn die Geflügelkassen tatsächlich leer werden sollten, wären Anleihen von den anderen Tierarten möglich. Das war beim Schweinepestzug in den 1990er Jahren auch schon einmal notwendig. Diese Anleihen müssen später verzinst zurückgezahlt werden. Aktuell haben wir Gesamtrücklagen in Höhe von 165 Millionen Euro.

Ich habe zudem die Hoffnung, dass die Wildvogelpopulation längerfristig eine AI-Immunität entwickelt. Dann würden nicht mehr so große Viruslasten ausgeschieden und das Infektionsrisiko für Nutzgeflügel sänke.

Was halten Sie vom Vorstoß Niedersachsens, in den sehr geflügeldichten Gebieten den Umbau von offenen Putenställen zu geschlossenen Hähnchenmastställen zu erleichtern?

Aus seuchenprophylaktischer Sicht wäre das sehr zu begrüßen! Wenn viele Putenställe dicht beieinander liegen, ist das Risiko groß, dass eine Infektion von Stall zu Stall weiterverbreitet wird. Was die Biosicherheit angeht haben geschlossene Ställe einfach Vorteile.

Der Landkreis Cloppenburg hat aktuell wegen des jüngsten AI-Falls in Garrel erneut ein Wiedereinstallungsverbot erlassen. Die Tierdichte wird so regional deutlich reduziert, es gibt weniger Ansteckungsmöglichkeiten. Der Umbau von Puten- zu Hähnchenmastställen hat die gleiche Zielrichtung – und den Vorteil, dass den Betrieben nicht die Existenzgrundlage genommen würde.

Sie haben den Geflügelhaltern des Öfteren bescheinigt, dass sehr viel getan wurde in Sachen Optimierung der Biosicherheit. Gibt es noch Luft nach oben?

Luft nach oben gibt es immer. Aber es ist richtig, dass sehr viele Betriebe ihre Haltung und ihr Management in Richtung Seuchenvorsorge optimiert haben. Mit dazu beigetragen hat, dass die Tierseuchenkasse bei Mängeln Kürzungen der Entschädigungsleistungen eingeführt hat. Die Tierseuchenkasse ist ein Sicherheitsnetz, aber kein „Rundum-sorglos“-Paket. Die EU verlangt seit April 2021 von Tierhaltern, dass sie Pläne zur Seuchenvorsorge im eigenen Betrieb entwickeln und dokumentieren. Wenn diese nicht vorhanden sind, wird die EU ihren Anteil an den Entschädigungsleistungen deutlich kürzen. Der Druck wird höher.

Einige EU-Länder fordern, dass die Impfstoffentwicklung forciert wird und dass die Handelshemmnisse für Fleisch geimpfter Tiere abgebaut werden. Ist das die Lösung?

Wenn die Wildvögel das Virus weiter massiv verbreiten und wir hier weiter Nutzgeflügel halten wollen, muss es eine Impfung vor allem für Elterntiere und in Risikogebieten geben. Daran führt kein Weg vorbei. Es gibt einen Impfstoff, der per Nadel injiziert wird. Nötig für uns ist aber ein Impfstoff, der praktikabel über Tränkwasser oder Versprühen angewendet werden kann. Solange es die EU-Restriktionen unter anderem bei der Vermarktung von Fleisch geimpfter Tiere gibt, wird diese Impfstoffentwicklung niemand in die Hand nehmen, der wirtschaftliche Anreiz fehlt.

Die ‚Geflügelländer‘ in der EU müssen unbedingt dafür kämpfen, dass es eine Impfung bestimmter Nutztierbestände gibt. Es gibt auch ein Risiko, dass sich aus der zirkulierenden AI irgendwann eine Pandemie entwickeln könnte. Was Pandemien bedeuten, hat Corona uns vor Augen geführt.

 

Land und Forst / Christa Diekmann-Lenartz
Bild: Land und Forst / Christa Diekmann-Lenartz

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